«Ich hänge sehr an diesen Häusern und möchte nicht, dass ihnen etwas geschieht»

Die vier 1973 gebauten Einfamilienhäuser «Im Katzengraben» kann man auf zwei Arten betrachten: als architektonisch herausragende Zeugen der Boomjahre nach dem zweiten Weltkrieg oder als «Objekte des Anstosses». Klar ist: Die kompromisslose Architektur im Stil der Nachkriegsmoderne macht sie aus heutiger Sicht zu etwas Besonderem, das es zu bewahren gilt. Wir haben mit Walter Forrer gesprochen, der sich hier seit 50 Jahren wohl fühlt.

Herr Forrer, wann sind Sie hier eingezogen?

Das weiss ich noch genau: am 9. September 1973. Zusammen mit meiner schwangeren Frau und unserer kleinen Tochter. Und es war genau das Haus, das wir uns vorgestellt hatten.

 

Erzählen Sie!

Wir hatten uns in Wolfhausen ein modernes Doppelhaus angeschaut, dass der Architekt H.J. Kindlimann für Bekannte von uns erstellt hatte. Diese Besichtigung hat uns restlos überzeugt. Also habe ich Kontakt mit dem Architekten aufgenommen und das Projekt für die vier Einfamilienhäuser hier «im Chatzengrabe» angestossen. Ich bin am Zürichsee in einem Haus aufgewachsen, das über 400 Jahr alt und folglich etwas düster war. Im Gegensatz dazu sollte dieses Haus modern, offen und hell werden. Damit wir uns das besser vorstellen konnten, habe ich aufgrund der Pläne ein Modell gebaut und es mit selbstentworfenen Möbeln ausgestattet.

Grosse Fenster und der Bezug nach aussen zeichnen die Einfamilienhäuser «Im Katzengraben» aus, Foto: Martin Bachmann, Archäologie und Denkmalpflege Kanton Zürich, 2024.
Und ist das Haus so herausgekommen, wie Sie es sich vorgestellt hatten?

Oh, ja! Dieses Haus bietet eine aussergewöhnliche Wohnqualität und es ist voller liebevoll durchdachter Details. Es gibt nur drei abgeschlossene Räume, die Schlafzimmer. Alles andere ist offen. Vor allem der Wohnraum ist überragend. Er geht über zwei Stockwerke, hat eine Galerie und im Zentrum ein Cheminée, das wir sehr schätzen und ausgiebig nutzen. Durch die Offenheit ergeben sich im Haus wunderbare Sichtachsen. Auch der Bezug nach aussen, in den Garten, war uns schon bei der Planung sehr wichtig. Dreissig Prozent der Fassadenoberfläche sind Fenster. Vom Gefühl her wohnen wir quasi im Garten. Zudem sind die vier Häuser so angeordnet, dass wir uns zwar nahe sind und uns trotz der grossen Fensterflächen doch nicht sehen.

Konnte Ihr Umfeld nachvollziehen, warum Sie in ein so modernes Haus ziehen?

Sie müssen sich das damalige Gesamtbild vorstellen: ein Neubau aus Beton, ein unbegrünter Abhang, noch keine Bäume. Die Eglisauer sind hierher spaziert, um sich diese Bescherung anzuschauen und sich über den «Betonklotz» aufzuregen. Das Ortsmuseum Eglisau gestaltete im Jahr 2022 eine Ausstellung mit dem Titel EGLISAUER HAUSgeSCHICHTEN. Im Rahmen dieser Ausstellung wurden unter anderem drei Häuser gezeigt, die beim Bau als hässliche Objekte galten – und heute alle im Inventar der Denkmalschutzobjekte von überkommunaler Bedeutung aufgenommen sind. Das unsrige war auch dabei.

Die baugleichen Einfamilienhäuser «Im Katzengraben» sind herausragende Zeugen des Einfamilienhausbaus der «Boomjahre» nach dem Zweiten Weltkrieg im Zürcher Unterland, Foto: Archäologie und Denkmalpflege Kanton Zürich.
Und wie reagieren die Menschen heute?

Sehr interessiert. Wir hatten am Tag der offenen Tür viel Besuch. Vor allem von Architektinnen und Architekten. Die meisten waren überrascht und erstaunt. Punkto Wohnqualität wirken Betonbauen ja auch heute noch etwas anrüchig. Aber ist man im Haus drin, staunen alle über die Atmosphäre und die Lebensqualität. Eine Besucherin hat mir sogar ein Kaufangebot gemacht.

«Die Unterlagen, die wir von der Denkmalpflege erhalten hatten, habe ich dem Bauführer und dem Sohn des Architekten weitergeschickt. Als späte Würdigung!»

Im Jahr 2021 wurden Sie von der kantonalen Denkmalpflege informiert, dass für Ihr Haus eine «Schutzvermutung» besteht. Sind Sie erschrocken?

Keine Spur. Wir hatten eine Vorahnung. Eine Weile vor diesem Schreiben hatte eine Fotografin uns gefragt, ob sie Aussenaufnahmen vom Haus machen dürfe. Das hat mich sehr gefreut. Ich habe Sie reingebeten, damit sie auch innen Fotos machen konnte. Als der Brief von der kantonalen Denkmalpflege kam und uns über die Aufnahme ins Inventar der Denkmalschutzobjekte von überkommunaler Bedeutung informiert hat, fand ich das sehr gut. Denn ich hänge an diesen Häusern und möchte nicht, dass ihnen etwas geschieht. Die Horrorvorstellung, dass eines der Häuser verkauft und abgebrochen wird und jemand eine ausnützungsoptimierte Terrassensiedlung hinstellt, ist damit vom Tisch. Übrigens: Die Unterlagen, die wir von der Denkmalpflege erhalten hatten, habe ich dem damaligen Bauführer und dem Sohn des Architekten weitergeschickt. Als späte Würdigung!

Mit den Materialien Sichtbeton und Glas sowie der Verwendung mehrerer über Eck gezogener Fensterbänder knüpfen die Einfamilienhäuser «Im Katzengraben» an die moderne Architektur der späten 1920er- und frühen 1930er-Jahre an, Foto: Archäologie und Denkmalpflege Kanton Zürich.
Sie haben daraufhin vom Gesprächsangebot der kantonalen Denkmalpflege Gebrauch gemacht.

Ja, wir sind gemeinsam hingegangen, alle vier Eigentümerparteien. Nicht alle waren von Anfang an so optimistisch wie ich. Es standen schon auch Fragen im Raum. Aber das Gespräch hat alle überzeugt. Die unglaubliche Wohnqualität, die wir alle seit 50 Jahren zu schätzen wissen, kann nicht einfach «abgeräumt» werden.

 

Das nimmt Ihnen aber auch die Chance, zum Beispiel via Abriss und Neubauten einen finanziellen Mehrwert zu erzielen?

Ich kann nur für mich sprechen: Der materielle Wert des Hauses hat mich nie interessiert. Oder, um noch deutlicher zu werden, es ist mir total egal. Die Wohnqualität, die uns dieses Haus bietet, ist mit Geld nicht aufzuwiegen.

Die Häuser «Im Katzengraben» zeugen vom in der ganzen Schweiz stattfindenden Wachstum neuer Einfamilienhausquartiere ausserhalb der historischen Ortskerne und vom Wunsch nach einem «Haus im Grünen». Ein Ideal, welches sich bereits vor dem Ersten Weltkrieg entwickelte und insbesondere in ländlichen Regionen und in den Agglomerationsgebieten teilweise bis heute gilt, Foto: Archäologie und Denkmalpflege Kanton Zürich.
Was haben Sie in diesen 50 Jahren an Ihrem Haus verändert?

Fast nichts. Im Erdgeschoss haben wir ein WC zu einem Badezimmer erweitert. Und im Garten haben wir – zusammen mit dem Architekten, der das Haus entworfen hat – einen Geräteraum und einen Holzschopf erstellt. Unter dem Garten ist 2002 eine Werkstatt gebaut worden. Von aussen ist sie nicht sichtbar. Früher oder später werden wir familienintern wohl darüber sprechen, wie es mit diesem Haus weitergehen könnte. Dass die Denkmalpflege bei einem allfälligen Bauprojekt mitredet, beunruhigt bei uns niemanden. Im Gegenteil. Wir sind stolz auf dieses Haus und schätzen es, wenn wir nicht die einzigen sind, die sorgfältig damit umgehen wollen.

Möchten Sie mehr über dieses Haus und seine Besonderheiten erfahren? Hier geht’s zum Inventarblatt.

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Verfasst von:

Viviane Mathis

Viviane Mathis

Viviane Mathis studierte Kunstgeschichte, Architekturgeschichte und empirische Kulturwissenschaften in Zürich und Bern. In der Abteilung Archäologie und Denkmalpflege des Kantons Zürich ist sie Projektleiterin Vermittlung.

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