Neuer Kunstdenkmälerband über den Bezirk Dielsdorf

Im November 2023 ist der neuste Band der Buchreihe «Die Kunstdenkmäler des Kantons Zürich» erschienen. Es handelt sich um den ersten Band der Neubearbeitung der Zürcher Landbezirke, die ab den 1930er- und 1940er-Jahren ein erstes Mal im Kunstdenkmäler-Inventar erfasst wurden. Seither haben insbesondere die an die Stadt Zürich angrenzenden Bezirke eine beachtliche demografische, wirtschaftliche und bauliche Transformation erfahren. Der neue Kunstdenkmälerband über den Bezirk Dielsdorf dokumentiert diesen Wandel.

Das Zürcher Unterland – ein Weinbaugebiet?

Bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts war in den meisten der 22 Gemeinden des Bezirks Dielsdorf die Landwirtschaft die wichtigste Lebensgrundlage. Der im Zürcher Unterland verbreitete Ackerbau gab auch die Siedlungsstruktur vor: Die Vielzweckbauernhäuser und ihre Nebenbauten konzentrierten sich in der Regel auf einen eng umgrenzten Dorfbereich, der von zusammenhängenden Ackerfluren umgeben war. Aus dem heutigen Orts- und Landschaftsbild mehrheitlich verschwunden sind die Rebberge, die bis zur Weinbaukrise Ende des 19. Jahrhunderts das Erscheinungsbild der meisten Dörfer im Zürcher Unterland mitprägten. Die umfangreichsten Rebflächen waren in Stadel, am Hasliberg in Oberhasli sowie an den Südhängen des Furttals (Adlikon, Buchs und Otelfingen) zu finden.

Johannes Müller, Zehntenplan Stadel (Ausschnitt), 1776. Stadel wies im 18. Jh. das umfangreichste Rebgebiet im späteren Bezirk Dielsdorf auf. Die Rebberge befanden sich am Südhang des Stadlerbergs sowie am Chofel, einer Erhebung im Süden des Dorfes. StAZH, PLAN Q 267. Digitalisat Staatsarchiv Zürich. Georeferenziert

Der im Zürcher Unterland angebaute Wein hatte unterschiedliche Qualität. Während der Landvogt Caspar Scheuchzer den Wein aus Boppelsen 1764 als «überhaubt nicht kostlich» beschrieb, hatte derjenige aus Buchs ihm zufolge «seiner Qualitet halben guten Credit», wurde also sehr geschätzt.  Auch die edlen Tropfen aus Adlikon bei Regensdorf und aus Oberhasli scheinen gemundet zu haben. Jedenfalls wurden damit Gaststätten in der Stadt Zürich sowie «im ganzen Zürich Gebiet» beliefert.

Der Weinbau schlug sich auch in der Baukultur nieder. In Adlikon gab es im 18. Jahrhundert nicht weniger als neun Weintrotten, gleich viele waren es in Oberhasli. In Stadel wiederum, das im 18. Jahrhundert das grösste Weinbaugebiet im späteren Bezirk Dielsdorf besass, zeigte sich der durch den einträglichen Rebbau erwirtschaftete Wohlstand im Bau mächtiger barocker Bauernhäuser und eines repräsentativen Dorfbrunnens (1636), wie er sonst nur in Städten anzutreffen war.

Kulturlandschaften im Wandel

In der vergleichenden, diachronen Schau vermittelt der genaue Blick auf einzelne Gebäude und ihren geschichtlichen Kontext einen Gesamteindruck von der Kulturlandschaft und ihrem Wandel in der Zeit. Was man heute vielleicht als urtümlich-landschaftliche Erscheinung der Natur wahrnimmt, ist in Wahrheit das Ergebnis einer seit Jahrhunderten praktizierten Aneignung und Mitgestaltung der natürlichen Umgebung durch den Menschen, also eine Kulturlandschaft im eigentlichen Sinne. Eindrücklich zeigt sich das an den Mühlenweihern, die in Regensdorf, Buchs, Steinmaur und an anderen Orten im Verlauf des Spätmittelalters im oberen Bereich der Dörfer angelegt wurden. Über oftmals künstlich gestaltete Bachläufe versorgten sie die Getreide-, Öl- und Knochenmühlen mit Wasserkraft.

Regensdorf, Mühlestrasse 43. Ehem. Wohn- und Mühlengebäude, 17./18. Jh. Foto Urs Siegenthaler, 2020.

Besonders deutlich wird der Wandel der Kulturlandschaft am Beispiel der Nutzung von Feuchtgebieten und den Massnahmen zur Prävention der davon ausgehenden Gefahren. In den Talböden entlang der Glatt und des Furtbachs erstreckten sich einst ausgedehnte Feuchtgebiete. Diese wurden von den Bewohnerinnen und Bewohnern der meist etwas erhöht gelegenen Dörfer bis in 19. Jahrhundert hinein vielfältig genutzt: Sie dienten als Streu-, Brennholz- und Torflieferant, im Winter wurde aus ihnen Eis gebrochen und von Frühjahr bis Herbst wurden die Randzonen der Riede als Weide genutzt, wie die im 18. Jahrhundert noch vorhandenen Hirtenhütten im Neeracher Ried zeigen. Die Fliessgewässer wiederum bildeten wegen der Wasserkraft und der Fischbestände einerseits eine Lebensgrundlage, bargen andererseits aber auch Gefahren. Im Ried bei Oberglatt wurden deshalb schon im 17. Jahrhundert Gräben ausgehoben, damit sich die Wassermassen bei Hochstand der Glatt grossflächig verteilten. Ebenfalls schon im 17. Jahrhundert wurde die Glatt bei Oberglatt ein erstes Mal begradigt und tiefergelegt.

 

Moderne Nutzbarmachung der Landschaft

Zu Flusskorrekturen im grösseren Stil kam es dann vor allem ab dem 19. Jahrhundert. Die immerfeuchten Talebenen wiederum wurden in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts mehrheitlich trockengelegt und für die moderne Landwirtschaft nutzbar gemacht. So entstand etwa im ehemaligen Ried bei Oberglatt 1924/25 der sogenannte Elektrohof der Schweizerischen Vereinigung für Innenkolonisation und industrielle Landwirtschaft (SVIL), der dazu diente, die Verwendung der Elektrizität in der Landwirtschaft zu demonstrieren. Eine Ausnahme dieser Entwicklung der Nutzbarmachung ist das Neeracher Ried, das die Zivilgemeinde Neerach 1927 der Schweizerischen Gesellschaft für Vogelkunde und Vogelschutz übertrug und das 1956 unter kantonalen Denkmalschutz gestellt wurde.

Johannes Müller, Zehntenplan Oberglatt (Ausschnitt), 1768. Der mäandernde Flusslauf wird auf dem Blatt als «Alte Glatt» bezeichnet; das gerade Flussbett der «Neüen Glatt» ist im Verlaufe des 17. Jh. entstanden. Digitalisat Staatsarchiv Zürich, StAZH, PLAN Q 230. Digitalisat Staatsarchiv Zürich. Georeferenziert

Genossenschaftliche Pionierbauten

Die nahe an der Stadt Zürich gelegenen Gemeinden des Bezirks erlebten in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ein rasches und starkes Bevölkerungswachstum. Dazu beigetragen hatte die Eröffnung des Flughafens Kloten 1948 ebenso wie die Zunahme des motorisierten Individualverkehrs und der Ausbau des öffentlichen Verkehrs. In Regensdorf, Niederhasli und besonders in Rümlang entstanden in kurzer Zeit Wohnblocksiedlungen, unter anderem auf Initiative von Zürcher Wohnbaugenossenschaften.

Werner Friedli, Flugaufnahme, Rümlang von Südosten, 1961. Im Süden von Rümlang entstanden ab den späten 1950er-Jahren neue, ausgedehnte Wohnsiedlungen. Der historische Ortskern blieb von der baulichen Entwicklung zunächst noch unangetastet und ist in seiner Struktur noch heute als solcher zu erkennen. ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv, LBS_H1-022798.

Die Gemeinnützige Baugenossenschaft Röntgenhof in Zürich war die erste, die mithilfe von städtischen Subventionen ausserhalb der Stadt tätig wurde. 1959/60 liess sie in Rümlang durch Architekt Ferdinand Bereuter eine erste Siedlung an der Obermatten- und Tempelhofstrasse erstellen.  Eine Bedingung dafür war, dass 80% der Mieterinnen und Mieter in Zürich arbeiteten. Die gleiche Bestimmung galt auch für die Zürcher Baugenossenschaft Rotach und die Arbeitersiedlungsgenossenschaft ASIG, die 1961–1963 gemeinsam die vielbeachtete Grosssiedlung Obermatten in Rümlang realisierten. Sie wurde von Walter Gachnang & Sohn in Zürich erbaut und umfasst mehrere, in der Höhe gestaffelte Haustypen: zwei achtgeschossige Hochhäuser, zehn zwei- bis fünfgeschossige Wohnblöcke, einen Kindergarten, ein Quartierzentrum mit Ladenlokalen und – als eines von nur wenigen realisierten Beispielen in der Schweiz – 22 zu zwei Teppichsiedlungen gruppierte, eingeschossige Atriumhäuser. Durch vorfabrizierte Bauelemente, ähnliche Grundrisstypen und Normausführungen in der Innenausstattung wurden die Baukosten in Grenzen gehalten.

Die neuen Siedlungsbauten legten sich wie ein zusätzlicher Siedlungsgürtel um den historischen Ortskern. Rümlang und andere grössere Dörfer in Stadtnähe erfuhren damit eine ähnliche Entwicklung wie verschiedene städtische Orte im Jahrhundert zuvor, wo die Entstehung neuer Wohnquartiere ebenfalls mit der Herausbildung einer «Altstadt» als historischem Zentrum einherging.

Adlikon bei Regensdorf, Siedlung Sonnhalde Ost. Der Siedlungsteil Ost umfasst sieben unterschiedlich lange Zeilenbauten und entstand während der ersten Bauetappe 1969–70. Foto: Urs Siegenthaler, 2020.

Standardwerk zum gebauten Kulturerbe – gedruckt und digital

Die von der Gesellschaft für Schweizerische Kunstgeschichte (GSK) herausgegebene Buchreihe «Die Kunstdenkmäler der Schweiz» ist seit 1927 das wissenschaftliche Standardwerk über das gebaute Kulturerbe der Schweiz. Der Kanton Zürich ist seit 1929 an diesem wissenschaftlichen Grossprojekt beteiligt. Nachdem von 1989 bis 2016 die Kunstdenkmäler der Stadt Zürich neu erforscht und die Ergebnisse in sieben Bänden veröffentlicht worden sind, wurde 2018 mit der Neubearbeitung der Landbezirke begonnen. Als erster Landband liegt nun jener über den Bezirk Dielsdorf vor. Auf 560 reich bebilderten Buchseiten würdigt die Neuerscheinung das gebaute Kulturerbe der einst stark vom Acker- und Weinbau geprägten Region im Nordwesten des Kantons. Neben der Beschreibung von regional- und zeittypischen Repräsentanten der Baukultur vom Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert werden auch die Ortsgestalten sowie der siedlungsgeschichtliche und kulturlandschaftliche Wandel ausführlich analysiert. Der neue Kunstdenkmälerband schafft damit eine wissenschaftliche Grundlage für die weitere Beschäftigung mit dem regionalen Kulturerbe.

Der neue Zürcher Kunstdenkmälerband kann bei der Gesellschaft für Schweizerische Kunstgeschichte erworben werden und ist über KdS-online auch digital verfügbar.

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Verfasst von:

Philipp Zwyssig

Philipp Zwyssig

Philipp Zwyssig ist Historiker. Er ist bei der kantonalen Denkmalpflege als Projektleiter und Co-Autor der «Kunstdenkmäler des Kantons Zürich» tätig. Für die Kantonsarchäologie erstellt er Fundstellengeschichten und führt Archivrecherchen für verschiedene Auswertungsprojekte durch.

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