Max Bucherer und Else Feustel

Der Basler Max Bucherer (1883–1974) war Maler, Grafiker, Exlibris-Künstler und Publizist. Nach einer künstlerischen Ausbildung in München unterrichtete er an verschiedenen Schulen in Deutschland. 1903 lernte Max Else Feustel (1888–1967) im Landeserziehungsheim für Mädchen in Gaienhof kennen, wo er als Lehrer tätig war. Aus der 1909 geschlossenen Ehe sollten bis 1924 sechs Kinder hervorgehen.

Links ein Porträt von Else Feustel, rechts ein Selbstporträt, beide von Max Bucherer. Quelle: Broschüre «Hermann Hesse in Rüschlikon».

Das Haus auf dem Hügel

Vor ziemlich genau 100 Jahren erfüllte sich das Ehepaar Bucherer-Feustel den Traum eines Eigenheims an wunderschöner Lage am Zürichsee. Der Architekt, Keramiker und Maler Hermann Haas (1878–1935) entwarf hierfür ein «Haus auf dem Hügel» in Rüschlikon und drei einzigartige Kachelöfen gleich dazu. Das Haus wurde als Wohnhaus mit Atelier erstellt. Auffallend sind der Grundriss, der insbesondere auf die Einbettung des Ateliers Rücksicht nimmt, sowie die schlichte Gestaltung der Innenräume, die erst durch die Ausstattung mit den prächtigen Kachelöfen einen repräsentativen Status erlangen. Die Entwürfe für Gebäude und Interieur entstanden mit wesentlicher Unterstützung der Bauherrschaft, dem Künstlerehepaar Else und Max, welches ihr Heim mitsamt den damals noch fünf Kindern 1923 beziehen konnte.

Die Villa Feustel in Rüschlikon. Foto: Schweizerische Bauzeitung, 1927.

Kacheln in Schwarzbraun, Senfgelb und Türkis

Der aufgrund seiner Grösse von zwei mal zwei Metern und seiner schwarzbraunen Farbe wohl imposanteste Kachelofen der Villa Feustel stand im Atelier von Max Bucherer. Seine becherartig vertieften Reliefkacheln erinnern an die ab dem 14. Jahrhundert häufig hergestellten Schüssel- oder auch Napfkacheln.

Schwarzbrauner Kachelofen im Atelier von Max Bucherer. Foto: Schweizerische Bauzeitung, 1927.
Nahaufnahme einer Reliefkachel des schwarzbraunen Kachelofens. Foto: Martin Bachmann, Archäologie und Denkmalpflege Kanton Zürich, 2022.

Ein leuchtend senfgelber Kachelofen mit Reliefmuster und Blumenmotiven stand im ehemaligen Musikzimmer, welches sich vermutlich im 1. Obergeschoss des Hauses befand.

Senfgelber Kachelofen mit leichter Beschädigung in der oberen linken Ecke. Foto: Archiv der kantonalen Denkmalpflege Zürich.
Nahaufnahme einer Kachel mit Blumenvasenmotiv des gelben Ofens aus der Villa Feustel. Foto: Christine Muralt, Archäologie und Denkmalpflege Kanton Zürich, 2022.

Das Wohn- und Esszimmer wärmte ein durch seine in Etagen gegliederte Form und die türkisfarbigen Kacheln aussergewöhnlicher Ofen. Als einziger der drei Öfen befindet sich dieser heute in Privatbesitz und nicht im Bauteillager der Zürcher Denkmalpflegen.

Das Wohn- und Esszimmer der Villa Feustel mit dem türkisfarbenen Kachelofen links. Foto: Schweizerische Bauzeitung, 1927.

Hermann Hesse – Freund und Helfer

Die glücklichen Tage als Familie am Kachelofen hielten nicht lange an. 1930 reichte Else die Scheidung ein. Nach der Trennung nahm sie wieder ihren Mädchennamen an und blieb mit den Kindern in Rüschlikon. Die Familie ernährte sie mit Einnahmen aus ihrer künstlerischen Arbeit und Beratungen zur Gartengestaltung. Als Spross einer Gärtnerfamilie hatte Else durch Gartenbaukurse und den Verkauf von Obst und Gemüse bereits zu Ehezeiten ihren Teil zum Lebensunterhalt der Familie beigetragen. Trotzdem plagten sie zeit ihres Lebens Geldsorgen.

Der mehrfache Helfer in der Not war kein geringerer als der berühmte Schriftsteller und Nobelpreisträger Hermann Hesse (1877–1962). Er unterstützte Else wiederholt in Notsituationen, trotz ihrer zeitweiligen Sympathie für den Nationalsozialismus. Der Schriftsteller pflegte eine langjährige Freundschaft zur Familie Bucherer-Feustel. Max Bucherer hatte Hermann Hesse bereits im Jahr 1900 in einer Buchhandlung in Basel kennengelernt und blieb ihm zeitlebens verbunden. Die enge Freundschaft von Max und Hermann führte dazu, dass dessen zweiter Sohn Heiner Hesse mehrere Jahre im Familienanwesen der Bucherers lebte. Durch regen Briefwechsel zwischen Hermann und Heiner sowie zwischen Hermann und Max sind einige der Geschichten, die sich in der Villa Feustel abgespielt haben, festgehalten.

1927 besuchte Hermann Hesse (2.v.l.) die Bucherers. Hier posiert er zusammen mit Ludwig Finckh (2.v.r.) und den Bucherers auf einem grossen Holzpferd im Garten der Familienvilla in Rüschlikon. Foto aus Broschüre «Hermann Hesse in Rüschlikon».

«Lieber Max, danke für deinen lieben Brief wegen Heiner! Ich bin froh darüber, dass Du Dich des Buben annimmst, da ich selber ja leider gar kein Talent für Familienleben, Erziehung etc. habe.»

Hermann Hesse am 9. August 1927 nach Rüschlikon.

«Hemmungslos-Schamlos» – Heiner Hesse in Rüschlikon

Heiner Hesse (1909–2003) besuchte ab 1927 die Kunstschule Zürich und begann anschliessend im Frühjahr 1928 eine Lehre als Grafiker. Auch in dieser Zeit durfte er die Gastfreundschaft der Bucherers in Anspruch nehmen. Das Verhältnis von Max und Heiner war anfangs so gut, dass sie gemeinsam Ideen für die Dekoration der Maskenbälle in den Sälen der Zürcher Tonhalle entwickelten. Die gute Stimmung hielt jedoch nicht allzu lange. In einem Brief vom Februar 1929 an Hermann Hesse beschwerte sich Max über das unsittliche Verhalten von Heiner: «Heiners Mädchen kam schon zum Frühstück. Am Nachmittag wurde vor allen Kindern poussiert, Kopf auf Heiners Beine und die eigenen Beine überm Geländer der Bank in der Luft. (…) Hemmungslos-Schamlos.»

Diese Episode führte zum Bruch. Heiner verliess Rüschlikon in Richtung Zürich. Er kehrte aber immer wieder, auch nach dem Auszug von Max ca. 1930, zunächst allein und später mit seiner jungen Familie in die Villa Feustel zurück. Ab 1933 schien die Beziehung von Heiner zu Else wiederum einen Bruch zu erleiden. Im Juli desselben Jahres schrieb er an seinen Vater: «Habe ich dir geschrieben, dass Els von einem Besuch bei Ihren Verwandten in Bayern als gutgläubige Hitler-Anhängerin zurückgekommen ist.» Wegen unterschiedlichen weltanschaulichen Überzeugungen war Heiner danach nur noch selten Gast in Rüschlikon.

Heiner Hesse mit Tochter Helen (genannt Bimba), um 1930. Foto aus Broschüre «Hermann Hesse in Rüschlikon».

Abbruch der Villa Feustel

Else verblieb bis zu ihrem Tod 1967 in der Villa Feustel. Aus einem Gutachten der Denkmalpflege-Kommission aus dem Jahr 1973 geht hervor, dass der Bau eine hohe Schutzwürdigkeit aufwies. Dies nicht zuletzt wegen seiner qualitätsvollen Innenausstattung, zu der insbesondere die Kachelöfen zählten. Die Erbengemeinschaft der Villa Feustel wehrte sich jedoch gegen eine Unterschutzstellung. Zwei der im Gutachten besonders hervorgehobenen Öfen wurden im Laufe dieses Verfahrens vermutlich absichtlich teilweise zerstört. Die Erben setzten sich schliesslich durch, womit die Villa im Jahr 1975 abgerissen wurde. Einzig die drei Kachelöfen wurden vor dem Abbruch sorgsam durch einen Hafner ausgebaut und blieben bis heute erhalten.

Beschädigter türkisfarbener Kachelofen aus dem Wohn- und Esszimmer der Villa Feustel, 1973–1975. Foto: Archiv der kantonalen Denkmalpflege Zürich.

Die Wiederentdeckung der Öfen im Bauteillager

Zwei der Öfen der Villa Feustel kamen ins Bauteillager der Zürcher Denkmalpflegen. In Holzkisten und mit Zeitschriften und Zeitungen aus den 1970er-Jahren gepolstert, schlummerten die in ihrer Grösse, Farbe und Form einzigartigen Ofenkacheln bis 2021 im Hochregal. Die nur spärlichen Informationen in der Datenbank des Bauteillagers liessen zunächst nicht erahnen, welche Geschichten sich rund um diese Öfen abgespielt hatten. Durch Vorbereitungen zur Sonderausstellung 2022/2023 im Alterthümer-Magazin begann ein Rechercheprozess, der einige Geschichten der Öfen aus Rüschlikon wieder zum Leben erweckte.

Ausstellung im Alterthümer-Magazin

Als einziger der drei Kachelöfen hat der schwarzbraune aus dem Atelier Max Bucherers die Unstimmigkeiten zwischen Erben und Denkmalpflege unbeschadet überstanden. Teile davon sind von September 2022 bis Juni 2023 in der Ausstellung «Some like it hot! Kachelkunst des Heizens» im Alterthümer-Magazin in Zürich ausgestellt. In der Ausstellung können ausserdem die schönsten Kacheln der Zürcher Denkmalpflegen aus 500 Jahren bestaunt werden. Jede Kachel, jeder Ofen in der Ausstellung hat seine eigene Geschichte, die es immer wieder aufs Neue zu entdecken gilt.

Der schwarzbraune Kachelofen aus der Villa Feustel ist ein Exponat in der Ausstellung «Some like it hot! Kachelkunst des Heizens» im Alterthümer-Magazin. Foto: vic & chris photography.

Verwendete Quellen

  • Rüschlikon. Haus Säumerstrasse 14. Bericht der Denkmalpflege-Kommission, 30. Juli 1973. Archiv der kantonalen Denkmalpflege Zürich.
  • «Das Haus auf dem Hügel» bei Rüschlikon. Schweizerische Bauzeitung 89/90, 1927. doi.org/10.5169/seals-41764
  • Briefe von Hermann und Heiner Hesse auf e-Manuscripta. www.e-manuscripta.ch/snl/nav/content/3207241
  • Hermann Hesse in Rüschlikon. Eine Ausstellung der Gemeinde Rüschlikon, der Werner Weber Stiftung und des Vereins kulturüschlikon. Eberhard Polatzek und Roland Stark, Broschüre, 2012.

 

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Verfasst von:

Christine Muralt

Christine Muralt

Christine Muralt-Herrmann ist Handwerkerin in der Denkmalpflege EFA und arbeitet seit 2020 im Bauteillager der kantonalen Denkmalpflege Zürich.

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Thomas Gehring

Liebe Frau Muralt
Auf der letzten Karte von STARCH war der Blog angemerkt, und so bin ich virtuell wieder im Alterthümermagazin gelandet, wo wir uns mit Margrit Früh ja getroffen haben.
Ihre Darstellung habe ich mit Gewinn gelesen und habe sie mit Bekanntem, etwa Gaienhofen, verbinden können.

Mit bestem Dank
und kollegialem Gruss,
auch an Sandrine Keck

Thomas Gehring

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