«Meine Freunde fanden unisono: Du spinnst»

Das «Haus zur Lilie» in Herrliberg schaut auf eine ereignisreiche, rund 500-jährige Geschichte zurück. Als die heutigen Eigentümer es 2015 gekauft haben, war es in einem schlechten Zustand. Es galt im Dorf als «Schandfleck». Heute erstrahlt das markante Gebäude wieder und bietet Raum für vier Wohnungen mit einzigartigem Charakter. Wir haben mit Claudia Spalinger gesprochen, Immobilientreuhänderin, Geschäftsführerin und Inhaberin Spalinger & Partner Immobilien, die als Miteigentümerin und Projektleiterin viel Energie in dieses Haus investiert hat.

Frau Spalinger, wie fühlt es sich an, in einem Haus zu leben, das um die 500 Jahre alt ist?

In diesem Haus fühle ich mich geerdet. Das geht auch den Menschen so, die mich besuchen. Diese historischen Mauern haben eine ganz spezielle Präsenz, das Haus ist sehr gesetzt. Man fühlt sich darin sofort wohl, umgeben, sicher. Dann gehört zu einem alten Haus auch, dass man nicht abgeschottet ist von seinen Mitbewohnern. Man hört sich. Wenn man sich kennt und mag, ist das kein Thema, es ist einfach eine Wahrnehmung.

Im «Haus zur Lilie», einer ehemaligen Taverne in Herrliberg, fühlt sich die Eigentümerin Claudia Spalinger wohl und geerdet. Foto: © Claudia Spalinger.
Bei einer historischen Liegenschaft denkt man als Aussenstehender vielleicht an eine gewisse Enge oder andere Einschränkungen.

Ja, gewisse Einschränkungen gibt es, selbst in einem eher herrschaftlichen Haus wie diesem. Die Raumhöhe ist bei uns gut, aber merkwürdigerweise gibt es ein, zwei Türen, bei denen man besser den Kopf einzieht. Oder auch Türschwellen oder kleine Absätze, bei denen man die Füsse anheben muss – was in einem Neubau undenkbar wäre. Man muss einfach ein bisschen präsenter sein, wenn man sich im Haus bewegt.

«So ein Haus ist wie eine Beziehung. Man lässt sich auf jemanden ein und nimmt ihn so, wie er ist.»

Und das stört Sie nicht?

Nein, im Gegenzug ist ein solches Haus dafür einzigartig. Es hat seinen ganz eigenen Charme. Die Dinge sind, wie sie sind. Wer sich daran stört, muss es bleiben lassen. Das ist wie in einer Beziehung. Es ist ein Miteinander. Man lässt sich auf jemanden ein und nimmt ihn so, wie er ist. Es hilft, wenn man ein bisschen flexibel ist. Ein Beispiel: Die Farben der Wandmalereien, die im Verlauf der Arbeiten zutage traten, sind nicht gerade meine Lieblingsfarben. Aber ich habe mir gesagt, das ist jetzt wie es ist, und habe angefangen, mit meiner Einrichtung auf diese Farben zu reagieren. Das sieht jetzt als Ganzes sehr stimmig aus.

Wie wirkt dieses Haus auf Passanten?

Auf dem Trottoir entlang der Seestrasse weist eine Plakette auf die Geschichte des Hauses hin. Viele Leute bleiben stehen, um sie zu lesen und das Gebäude zu betrachten. Wenn ich im Garten arbeite, komme ich mit ihnen ins Gespräch und spüre ein grosses Interesse. Es macht mir Freude, die reiche und wechselhafte Geschichte dieses Ortes zu vermitteln und wieder aufleben zu lassen. Ich sehe mich ein wenig als Hüterin dieser Geschichte.

 

Das Haus zur Lilie wurde lange vernachlässigt. Wie muss man sich seinen Zustand vorstellen?

Das Haus galt als «Schandfleck» und ich muss sagen, das war zutreffend. Meine Freunde fanden unisono: Du spinnst. Die Triebfeder, um es trotzdem zusammen mit einem Freund zu kaufen, war gar nicht die historische Substanz. Vor allem wollte ich mich in Herrliberg niederlassen und nah am See sein – und das mit einem Budget, das nicht eben riesig war. Aus heutiger Sicht bereue ich gar nichts. Aber um offen zu sein, es war schon ein ziemlicher Leidensweg, mit vielen Überraschungen und Wendungen. In den Anfängen meinte jemand zu mir: «In der heutigen Zeit und in unseren Breitengraden ist das letzte grosse Abenteuer, ein so altes Haus zu sanieren.» Wie recht er hatte!

Das «Haus zur Lilie» während der Umbauarbeiten. Am Trottanbau ist die Obergeschoss-Wand neu aufgemauert. Im Vordergrund steht das Kellergebäude, Foto: Roland Böhmer, Archäologie und Denkmalpflege Kanton Zürich.
Nicht nur die bauliche Ausgangslage war schwierig. Dazu kam, dass Sie Ihr Umbauprojekt nur in Absprache mit der kantonalen Denkmalpflege vorantreiben konnten. Wie lief das?

Dieses Haus war eine grosse Unbekannte. Selbst die kantonale Denkmalpflege musste mit ihren Nachforschungen fast bei null beginnen. Dann kam ein rollender Prozess in Gang. Es ging darum, das Haus schrittweise zu analysieren und herauszufinden, was schützenswert war und wie man es am besten bewahren kann. Beziehungsweise, wie man dieses Haus neu definieren kann. Denn es wollte ja niemand ein Museum daraus machen, sondern es sollte bei aller historischen Substanz auch ein zeitgerechtes Wohnhaus werden. In diesem Prozess standen wir immer wieder vor neuen Situationen und mussten in Einzelschritten vorwärts gehen.

 

Durch das Anschleifen des Wandtäfers an der Südostwand sind die verschiedenen Farbschichten zum Vorschein gekommen: grau, grün, creme, weiss (wohl Grundierung), grau. Foto: Roland Böhmer, Archäologie und Denkmalpflege Kanton Zürich.
Wer hatte das Sagen?

Fachlich waren mir die beteiligten Spezialistinnen und Spezialisten naturgemäss voraus. Da habe ich viel gelernt. Aber wir haben uns im Grundsätzlichen sehr rasch verstanden. Die Denkmalpflege hat sofort realisiert, dass ich voll dabei bin und dass auch ich etwas aus diesem Haus machen will. Und sie haben eben auch verstanden, dass ich dabei an Wohnungen dachte, die für normale Menschen erschwinglich sind. Das heisst, es brauchte auf beiden Seiten die Bereitschaft zu Kompromissen und eine gute Portion Pragmatismus. Letztlich waren wir einfach ein Team von ganz normalen Menschen, die zusammen Lösungen gesucht haben. Das umfasst auch die spezialisierten Handwerker, die genau so intensiv mitgeholfen haben bei der Lösungssuche.

Im zweiten Obergeschoss wurde die Zwischenwand entfernt, der Boden ersetzt, der Wand- und Deckenverputz repariert, die freigelegte Deckenmalerei wieder überstrichen, die Farbfassung an der Südwestwand restauriert und die Fenster ersetzt. Foto: Roland Böhmer, Archäologie und Denkmalpflege Kanton Zürich.
Wie lief es finanziell ab?

Die Finanzplanung war ebenso schwierig wie die bauliche Planung. Es gilt die Bauteile separat zu betrachten, ihre Schutzwürdigkeit zu bestimmen und daraus die zugehörige Unterstützung durch die öffentliche Hand zu errechnen. Ziemlich komplex, das alles. Je nach Schutzgrad fällt der Unterstützungsbeitrag höher oder tiefer aus. Ich bin sehr dankbar, dass unsere Partner bei der Denkmalpflege sich flexibel gezeigt haben und wir uns auf Zwischenzahlungen einigen konnten. Es wäre sonst für mich und meinen Miteigentümer wirklich kritisch geworden.

Wie beurteilen Sie als Immobilientreuhänderin die Wertentwicklung von historischen Wohnliegenschaften?

Es gibt in der Branche zwei Extreme. Die einen betrachten historische Gebäude als Fass ohne Boden und raten davon ab. Andere sehen bei der Wertentwicklung keine Grenze und sprechen dann vom ‘Liebhaberzuschlag’. Ich bin beiden Einschätzungen gegenüber skeptisch. Aus meiner Sicht ist die Wertentwicklung nicht so weit weg vom restlichen Immobilienmarkt. Ein spezieller historischer Bau mag etwas höhere Preise erzielen. Allerdings muss man auch mehr Unterhalt einplanen, was der Preisentwicklung nach nach oben Grenzen setzt. Ich persönlich betrachte das «Haus zur Lilie» nicht in erster Linie durch die finanzielle Brille.

Zur Ausstattung im herrschaftlichen «Haus zur Lilie» gehört auch ein Kachelofen. Der Parkett wurde hier neu verlegt. Foto: Florian Fülscher, Archäologie und Denkmalpflege Kanton Zürich.
Sondern?

Weder mein Miteigentümer noch ich haben Nachkommen. Und trotzdem haben wir uns unter anspruchsvollen Bedingungen um ein geschichtsträchtiges Haus gekümmert, dessen Besonderheit auch künftige Generationen erleben sollen. Es ist ein Stück Geschichte, das wir weitergeben wollen. Das umfasst übrigens auch, dass wir den Lilienkeller in seiner Funktion als Begegnungsstätte, die er über Jahrhunderte erfüllt hat, aktiv weiterführen. Wenn wir im Lilienkeller Veranstaltungen ausrichten oder periodisch die Nachbarschaft und die Bevölkerung dorthin einladen, möchten wir damit auch den Geist dieses Hauses am Leben halten. Es gehört zu Herrliberg und ist ein wichtiger Teil seiner Geschichte.

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Verfasst von:

Viviane Mathis

Viviane Mathis

Viviane Mathis studierte Kunstgeschichte, Architekturgeschichte und empirische Kulturwissenschaften in Zürich und Bern. In der Abteilung Archäologie und Denkmalpflege des Kantons Zürich ist sie Projektleiterin Vermittlung.

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