Als materielle Zeugnisse der Geschichte sind nicht bloss Denkmäler zu erhalten, die heute positiv gewertete Seiten der Geschichte dokumentieren, sondern auch solche, die an Unrecht und erlittenes Leid erinnern oder über deren Verständnis keine Einigkeit besteht.

Aus den Leitsätzen zur Denkmalpflege in der Schweiz

Mitte Oktober 2020 forderte der altgediente Journalist Karl Lüönd die Denkmalpflege im Landboten mit klaren Worten auf, endlich ihre Arbeit zu verrichten. «Denkmalpflege, antreten!», so die unmissverständliche Order, die den Kommentar als Titel schmückte. Die Denkmalpflege, welche sich «ja auch sonst um jeden Dachziegel und jeden Türknauf» kümmere, habe sich schützend vor Denkmäler zu stellen, welche durch die aktuellen Debatten um Rassismus und Kolonialismus unliebsam geworden seien. Diese Aufforderung bietet Gelegenheit, die Aufgaben der Denkmalpflege und die Funktion von Denkmälern ins Visier zu nehmen.

Im Volksmund wird mit dem Wort «Denkmal» zumeist eine plastische künstlerische Darstellung bezeichnet, welche an eine Persönlichkeit oder ein Ereignis erinnern soll. Üblicherweise handelt es sich dabei um eine Statue oder ein Monument. Im Kontext der Denkmalpflege beschreibt der Begriff Orte oder ortsgebundene Objekte, die als Zeitzeugnisse einen Eindruck von der Epoche vermitteln, in welcher sie geschaffen wurden. In aller Regel tun sie dies, ohne dass ihnen diese Funktion ursprünglich zugedacht war. Die Denkmalpflege beschäftigt sich nämlich hauptsächlich mit Baudenkmälern, das heisst mit Gebäuden.

Kein Denkmalpfleger, sondern ein Brunnenwärter der Stadt Zürich an der Arbeit. Foto: ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv / Fotograf: Vogt, Jules / Com_L19-0522-0003-0002 / CC BY-SA 4.0

Die Denkmalpflege eruiert und bezeichnet Orte und Gebäude, welche als schützenswertes Kulturgut erhaltenswert sind. Diese Arbeit verrichtet sie unter absoluter Transparenz gegenüber der interessierten Öffentlichkeit. Auf Bundes-, Kantons- sowie Gemeindeebene werden von der Denkmalpflege Inventare erstellt, die schutzwürdige Objekte bezeichnen. Was in einem Inventar vermerkt ist, darf je nach Status entweder gar nicht, nur beschränkt oder erst nach genaueren Abklärungen verändert werden. Die Inventare des Kantons Zürich sowie der Städte Zürich und Winterthur sind im Internet abrufbar. Mit ein paar Klicks lässt sich beispielsweise ermitteln, dass die «Liegenschaft AA4163» ein «potenziell schutzwürdiges Objekt» mit kommunaler Bedeutung für die Denkmalpflege der Stadt Zürich ist. Bei der «Liegenschaft AA4163» handelt es sich um einen Brunnen auf dem Zürcher Bahnhofsplatz, auf welchem eine Statue jenes grossen Mannes thront, um dessen Andenken sich obgenannter Journalist in seinem Kommentar besonders sorgt. Dass dieses gemeinhin als Alfred Escher-Brunnen bekannte Objekt als Liegenschaft bezeichnet wird, weist darauf hin, dass die Denkmalpflege sich vorwiegend mit Bauten oder Gebäudeteilen beschäftigt. Mit Dachziegeln und Türknäufen hat die Denkmalpflege sich aufgrund ihres gesetzlichen Auftrags tatsächlich öfter zu befassen, Personendenkmäler sind weit weniger ihr Geschäft.

Den einen Held – den andern Unterdrücker

Anders als inventarisierte Baudenkmäler, deren Schutzwürdigkeit zuweilen zum Zankapfel in Baustreitigkeiten wird, sind Statuen meist genuin politischer Natur. Personendenkmäler werden errichtet, um an Taten von Helden – seltener Heldinnen –, deren Eroberungen, Erfindungen und Errungenschaften für bestimmte Gruppen und Nationen zu erinnern. Über derlei Repräsentationen wird gegenwärtig global viel diskutiert. Die Rede vom «Geschichtskrieg», welcher gegen die Abbilder weisser, mächtiger Männer geführt werde, macht die Runde. Einst machtlose Gruppen, welche in diesen Figuren die historische Hinterlassenschaft von Unterdrückung und struktureller Ungleichheit erkennen, greifen diese lange Zeit unwidersprochene Heldendarstellung im Zuge ihrer gesellschaftlichen Emanzipation frontal an. Sie verlangen die Entfernung von Statuen oder legen im Extremfall gleich selber Hand an.

In Zeiten grossen Umbruchs wird regelmässig Verständnis dafür aufgebracht, dass Denkmäler reihenweise vom Sockel geholt werden. Als das wiedervereinigte Deutschland nach 1990 Lenin-Statuen und Gebäude des DDR-Regimes niederreissen liess oder als die US-Armee im Irak Saddam-Hussein-Statuen stürzte, blieb die internationale Empörung über Vandalismus beziehungsweise Zerstörung von Kulturgut weitgehend aus. Je nach Wertung der Gegenwartsereignisse scheint eine legitime Befreiung von der Erinnerung an Schmach, Schmerz und Leid das allgemeine Bedürfnis nach Kulturgüterschutz zu überwiegen.

Nicht Entfernung, sondern Heimkehr. Nach einer vierjährigen Umbauphase des Zürcher Bahnhofplatzes kehrt Alfred Eschers Abbild 1970 auf diesen zurück. Foto: ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv / Fotograf: Vogt, Jules / Com_L19-0522-0003-0001 / CC BY-SA 4.0

Unsichtbare Denkmäler

Die meiste Zeit bleibt das Heldentum der dargestellten Figuren im Alltag genauso unbeachtet, wie das durch sie begangene oder mit ihnen verstrickte Unrecht. Das Auffallendste an Denkmälern ist nämlich, wie der österreichische Literat Robert Musil 1935 festhielt, dass man sie nicht bemerkt: «Es gibt nichts auf der Welt, was so unsichtbar wäre wie Denkmäler». Personendenkmäler werden häufig erst dann zu materiellen Erinnerungsträgern für das kollektive Selbstverständnis, wenn eine Debatte über die historische Hinterlassenschaft der abgebildeten Personen entbrennt.

Die Aktion «Transit 1999» entwickelte im Sommer 1999 in Zürich eine künstlerische Strategie, um mittels Umplatzierung der Waldmann-, Pestalozzi-, Zwingli- und eben auch der Escher-Statue wenig beachtete Personendenkmäler kurzzeitig wieder sichtbar zu machen. Erst durch die temporäre Absenz an ihren angestammten Orten wurde teilweise heftig über die Statuen diskutiert. Die permanente Entfernung oder Zerstörung von Statuen hingegen dürfte einem verantwortungsvollen Umgang mit Phänomenen, für welche sie stehen, nicht zuträglich sein. Mit der Verbannung kritisierter Abbilder verschwinden nämlich auch wichtige Quellen, welche aus kritischer Perspektive der Gegenwart befragt und benannt werden können. Den erhaltenen Denkmälern muss dabei nicht die zur Entstehungszeit vorgesehene Funktion zukommen. Dies gilt für Statuen und Monumente ebenso wie für Baudenkmäler. Sie wurden und werden immer wieder den Bedürfnissen ihrer Zeit entsprechend umgedeutet. So kann einem einst an kriegerisches Heldentum erinnernden Monument heute die kritisch-distanzierende Funktion eines Mahnmals zukommen.

Vom Sockel geholte grosse Männer 1999 im Industriequartier-Exil. Bild: Andreas Meier/Transit1999

Neue historische Erkenntnisse – Neue Vermittlungskonzepte

Wie eine veränderte Sichtweise auf historische Figuren und Phänomene im öffentlichen Raum übertragen werden soll, ist eine Frage gesellschaftlicher Aushandlung – ein Zusammenspiel von Erkenntnissen aus der Geschichtswissenschaft, Forderungen aus der Zivilgesellschaft, Debatten in der Politik und daraus resultierendem Verwaltungshandeln. Eine Forschungsgruppe der Universität Zürich hat im Auftrag der Stadt Zürich die Verstrickungen der Limmatstadt mit Sklaverei und Sklavenhandel untersucht. Im seit September vorliegenden Bericht wird auch die Rolle Alfred Eschers und seiner Familie beleuchtet. Im Oktober hat schliesslich die Stadtregierung die Arbeitsgruppe Kunst im öffentlichen Raum (AG KiöR) beauftragt, Strategien für den Unterhalt und die Vermittlung bei 26 Personendenkmälern auszuarbeiten. Mit dabei ist auch die Escher-Statue auf dem Bahnhofplatz. Die Befürchtung, dass der Statue praktisch schon der Abriss droht, ist jedoch unbegründet. Sowohl die Historiker, welche besagten Bericht schrieben, als auch Exponenten der KiöR haben zwar darauf hingewiesen, dass bei Denkmälern wie jenem Alfred Eschers eine Kontextualisierung nötig sein werde, um neuere historische Erkenntnisse miteinzubeziehen. Sie haben aber ebenso durchblicken lassen, dass der Vermittlung bisher verdrängter Aspekte mit Konzepten jenseits von Abriss und Entfernung besser gedient sei.

Sollte in Bezug auf «Liegenschaft AA4163» in diesem Rahmen die Absicht bestehen das Gebäude zu sanieren, zu renovieren, umzubauen oder abzubrechen, muss das Amt für Baubewilligungen oder die Denkmalpflege kontaktiert werden. So steht es im Inventar. Das wäre dann also der Zeitpunkt, in welchem die Denkmalpflege «antreten muss». Im Falle der Escher-Statue wäre dies die Denkmalpflege der Stadt Zürich. Doch auch bei der kantonalen Denkmalpflege kennt man Vergleichbares. Es ist noch nicht allzu lange her, dass der Kanton Zürich aufgefordert wurde, ein Denkmal von kantonaler Bedeutung zu entfernen. Der Monolith, welcher an der Albisstrasse zwischen Kappel und Hausen an den heldenhaften Tod des Reformators Ulrich Zwingli erinnert, stelle gegenüber den Innerschweizer Katholiken eine unzumutbare Provokation dar, hiess es damals.

Der gesetzliche Auftrag an die Denkmalpflege ist, Kulturgut in der Gegenwart und für kommende Generationen zu bewahren. Die Erhaltung schützenswerter Denkmäler ermöglicht, dass auch die Darstellung von Vergangenheit von jeder Generation neu geprüft werden kann. Dazu gehört auch, dass dabei die Relevanz der grossen historischen Männer angezweifelt werden darf.

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Verfasst von:

Lukas Keller

Lukas Keller

Lukas Keller studiert im Master Public History an der Pädagogischen Hochschule Luzern und der Universität Fribourg. Gegenwärtig absolviert er ein Praktikum in der Abteilung Archäologie und Denkmalpflege.

M
Markus Scherer

Guter Artikel, aber etwas langweilig.

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