Wenn man vom Bezirkshauptort Pfäffikon […] gegen Wetzikon wandert, so gewahrt man schon nach einer leichten Viertelstunde […] ein stattliches, graues Gemäuer, das über den Obstbaumwald von Irgenhausen herausragt.

Otto Schulthess, 1911

Auch heute noch überragen diese Mauern gut sichtbar das Ostufer des Pfäffikersees. Sie bieten sich als Ausflugsziel zusammen mit einem gemütlichen Spaziergang auf dem rollstuhlgängigen Weg rund um den See für einen Ausflug an. Aber worum handelt es sich bei diesen Gebäuderesten und wie alt sind sie? Es sind die mächtigen Mauern eines römischen Kastells, das hier im 4. Jh. erbaut wurde. Es diente der Kontrolle der Strasse, die von den Bündner Pässen über das heutige Rapperswil nach Winterthur und weiter an den Rhein führte. An einigen Stellen des Areals sind zudem noch Spuren eines älteren römischen Gutshofs, einer villa rustica, zu sehen.

Westfront des Kastells 1897. Foto: Fritz Wiesendanger sen., Wetzikon, Schweizerische Nationalbibliothek, Eidgenössisches Archiv für Denkmalpflege.

Die Entdeckung und Ausgrabung des Kastells

Die Ruinen des Kastells waren wohl immer sichtbar, gemäss einer Sage soll es sogar erst 1144 zerstört worden sein. Für die Wissenschaft entdeckt wurde es von keinem geringeren als Ferdinand Keller, dem Entdecker der Pfahlbauten. Dieser liess schon 1838 einen Grundriss davon aufnehmen. Als 1897 bekannt wurde, dass die Mauersteine des Kastells für den Bau einer Fabrik wiederverwendet werden sollten, kaufte die Antiquarische Gesellschaft in Zürich das Gelände. Kurz danach begann sie zusammen mit dem Verein «Lora» (der späteren Antiquarischen Gesellschaft Pfäffikon) mit der Ausgrabung und Restaurierung. Dank dieses  Kaufs für die damals stattliche Summe von 3000 Franken konnte das Kastell erhalten werden. Die frühe Ausgrabung lässt allerdings viele Fragen zur Geschichte des Platzes offen. Dennoch können einige Aussagen getroffen werden.

Die Überreste der villa rustica ausserhalb des Südosteckturmes (1907). Foto: E. Moser. Schweizerische Nationalbibliothek, Eidgenössisches Archiv für Denkmalpflege.

Der römische Gutshof – Ein Grossbauernhof für die Versorgung der Kleinstädte

Vor dem Bau des Kastells stand auf dem Hügel das Herrenhaus eines römischen Gutshofs. Die Gutshöfe waren einerseits grosse Agrarbetriebe, welche die umliegenden römischen Kleinstädte Turicum (Zürich) und Vitudurum (Oberwinterthur) sowie die Siedlung in Kempraten mit den nötigen landwirtschaftlichen Gütern versorgten. Andererseits gehörte dazu ein herrschaftliches Haus, oft reich ausgestattet und teils mit geheizten Räumen. Dort lebte der Besitzer mit seiner Familie. Die Überreste der Heizanlage im Bild, freigelegt beim Südosteckturm, wurden allerdings 1907 zu ihrem Schutz wieder zugeschüttet. Die im Innern des Kastells sichtbaren Mauern dürften ebenfalls zum Gutshof gehört haben. Einzig die Räume mit halbrundem Abschluss (Apsis) stammen vielleicht aus der Kastellzeit.

Karte der Nordschweiz mit den spätantiken Wachttürmen am Rhein sowie den Befestigungen im Hinterland. Im Text erwähnte Orte: 1: Augst BL, 2: Kloten, 3: Zürich, 4: Oberwinterthur, 5: Kempraten SG, 6: Stein am Rhein SH, 7: Pfyn TG, 8: Arbon TG, 9: Schaan FL. Grafik: Kantonsarchäologie Zürich.

Aus den Steinen des Gutshofs entsteht das Kastell

Wann der Gutshof verlassen wurde, kann ohne neue Forschungen nicht gesagt werden. Weit über das Ende des 3. Jh. hinaus ist eine Nutzung aber nicht anzunehmen. Auch die Frage, wann danach das Kastell aus den Steinen des aufgegebenen Gutshofs erbaut wurde, ist nicht abschliessend geklärt. Plausibel sind zwei Datierungen. Erstens die Zeit um 300, als auch in Vitudurum und an anderen Orten wie Augusta Raurica (Augst BL), Stein am Rhein SH, Ad Fines (Pfyn TG) oder Arbor Felix (Arbon TG) Kastelle erbaut wurden. Diese sicherten die in dieser Zeit wieder dem Rhein entlang führende Grenze des Römischen Reichs. Die zweite, wahrscheinlichere Variante ist eine Errichtung im Kontext eines grossen Festungsbauprogramms unter Kaiser Valentinian I. (364–375). Er liess einerseits bestehende Befestigungen reparieren, andererseits aber auch neue Kastelle im Hinterland erstellen, z.B. in Kloten oder Schaan FL . Mit seiner Lage an einer rückwärtigen Verbindungsstrasse dürfte Irgenhausen zu dieser Kategorie gehört und der Sicherung des Nachschubs gedient haben.

Luftbild des Kastells Irgenhausen
Das Kastell Irgenhausen von oben mit den Innenbauten (2013). Foto: Kantonsarchäologie Zürich

Die Innenbauten: Kirche oder Bad?

Im Innern des Kastells konnten anlässlich der Ausgrabungen von 1898–1907 nur in einer Ecke Mauerreste erfasst werden, die aber fast alle zum älteren Gutshof gehören dürften. Das Fehlen von Innenbauten mag auch daran liegen, dass die Grabungstechnik um 1900 die Spuren von Bauten aus Holz noch nicht erkennen konnte. Einzig das dreiräumige Gebäude mit zwei runden Raumabschlüssen (Apsiden) könnte in die Kastellzeit gehören. In der älteren Literatur wird es als frühe Kirche angesprochen, dies gilt heute aber als überholt. Die schmalen Durchlässe in den Mauern und die Dreiteilung legen vielmehr eine Interpretation als kleines Kastellbad nahe. Die Durchgänge wären dann als Einfeuerungslöcher zur Beheizung zu interpretieren. Die drei Räume könnten die klassische Dreiteilung der römischen Bäder widerspiegeln: Frigidarium (Kaltbad), Tepidarium (Warmbad) und Caldarium (Heissbad).

Zwiebelknopffibel, 2. Hälfte 4. Jh. n. Chr., charakteristische «Sicherheitsnadel» für den Soldatenmantel in der Spätantike. Foto: Kantonsarchäologie Zürich.

Das Ehrenzeichen eines römischen Soldaten

Wie üblich bei archäologischen Ausgrabungen, wurde einer der schönsten Funde am letzten Tag der Ausgrabung gemacht: eine Zwiebelknopffibel. Dabei handelt es sich um eine Brosche zum Verschluss des Soldatenmantels. Der Name leitet sich von den drei zwiebelförmigen Knöpfen am Querarm der Fibel her. Fibeln dieser Art datieren ins 4. Jh., die genauen Vergleiche des hier gefundenen Stücks können enger der zweiten Hälfte des 4. Jh. zugewiesen werden. Solche Fibeln in Silber oder Gold verlieh der Kaiser an verdiente Heerführer.  So trägt der römische General Stilicho auf einem berühmten Bildnis aus Elfenbein eine vergleichbare Fibel auf seiner rechten Schulter. Unsere ist «nur» aus Buntmetall und gehörte wohl einem niedrigen Offizier oder Soldaten. Ob er sie ebenfalls vom Kaiser direkt verliehen erhielt, wissen wir nicht. Sie zeugt auf jeden Fall von der Präsenz eines kleinen Detachements römischer Soldaten, Angehörige der als Limitanei bezeichneten Grenzschutztruppen.
Ein Brand besiegelte das Ende des Kastells. Dies belegt eine bei der Grabung wiederholt beobachtete Brandschicht. Vielleicht brannte das Kastell im Zuge einer Eroberung durch feindliche Truppen ab. Möglich ist aber auch, dass die Besatzung selber den Brand legte, als sie abgezogen wurde, weil das Römische Reich um 401 die Provinz aufgab.

Anfahrt und Hinweise

Das Kastell ist vom Bahnhof Pfäffikon in etwa 15 Minuten zu Fuss erreichbar. Es liegt am Wanderweg (Wegweiser «Römerkastell») rund um den Pfäffikersee. Auf ihm kommt man auch an Fundstellen von Pfahlbauten am Seeufer vorbei.

Parkplätze befinden sich beim Strandbad Pfäffikon unweit des Kastells.

Zwischen Bahnhof und Kastell lohnt sich ein Abstecher ins Museum am Pfäffikersee, das Funde aus dem Kastell und den Pfahlbauten ausstellt.

Das Kastell befindet sich seit 1957 im Besitz der Gemeinde Pfäffikon, die den Unterhalt der Ruine besorgt. Es steht zudem unter Bundesschutz.

Literatur

O. Schulthess, Das römische Kastell Irgenhausen (Kanton Zürich), Mitteilungen der Antiquarischen Gesellschaft in Zürich, Bd. 27, 2, 1911, 43–114.

B. Hediger, Das Kastell Irgenhausen. In: Antiquarische Gesellschaft Pfäffikon (Hrsg.), Eine Ahnung von den Ahnen. Archäologische Entdeckungsreise ins Zürcher Oberland (Wetzikon 1993) 143–148.

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Verfasst von:

Hannes Flück

Hannes Flück

Hannes Flück ist freischaffender Archäologe mit Schwerpunkt provinzialrömische Archäologie.

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