Kyburg: Kleine Spuren zeugen von grossen Ereignissen

Vor 600 Jahren erwarb die Stadt Zürich die Kyburg und die zugehörige Grafschaft von den Habsburgern. Noch heute stecken die Mauern der Burg voller Geschichten aus ihrer bewegten Vergangenheit. Im jahrhundertealten Herrschaftssitz erzählen kleine Spuren von grossen Ereignissen. Lesen Sie hier, was die barocke Ausmalung eines Kyburger Turmzimmers mit einem Goldschatz und den Bauernkriegen zu tun hat.

Ein Symbol der Macht

Mit dem Kauf der Kyburg im Jahr 1424 gelangte die Stadt Zürich zu einem Untertanengebiet, das heute rund ein Drittel des Zürcher Kantons ausmacht. Der Erwerb war der Stolz der reichsfreien Stadt. Sogleich investierten die Bürger Zürichs in den Ausbau der einstigen Adelsburg als Symbol ihrer neu erlangten Macht. Höhere Türme und viele neue Türmchen machten weithin sichtbar, dass in der Grafschaft Kyburg eine neue Zeit angebrochen war. Ein Mitglied aus dem Zürcher Rat amtete fortan für jeweils sechs Jahre als Landvogt auf dem Schloss. Das Amt war ein Sprungbrett für die Wahl zum Bürgermeister von Zürich. Und die Landvogtei war eine Art Laboratorium der vormodernen Verwaltung.

Stolz thront das Landvogtschloss über der Töss. Noch auf Merians Kupferstich von 1654 sind die «Zürcher» Türme besonders betont.
Bild: Matthäus Merian, aus: Topographia Helvetiae, Sammlung Kyburg

Das erste Burgenmuseum der Schweiz

Mit der Einführung der ersten demokratischen Verfassung im Jahr 1831 ging die Landvogteizeit auf der Kyburg zu Ende. Die Burg wurde versteigert und kam in Privatbesitz. 1865 eröffneten die damaligen Besitzer das erste Burgmuseum der Schweiz. 1917 besann sich der Kanton Zürich auf die Bedeutung der Kyburg für die eigene Geschichte. Er kaufte das Schloss zurück und richtete darin ebenfalls ein Museum ein. Seit 1999 führt der Verein Museum Schloss Kyburg mit Unterstützung des Kantons das Museum, das die Geschichte der Kyburg als Baudenkmal und Herrschaftssitz vermittelt. Mit der Abteilung Archäologie und Denkmalpflege des Kantons Zürich verbindet den Verein eine langjährige Zusammenarbeit, nicht nur bei der Vermittlung, sondern auch bei der Erhaltung der Kyburg.

Geschichte in Schichten

In der neuen Dauerausstellung ist die Kyburg selbst das Hauptobjekt. Es lag deshalb auf der Hand, die im Laufe der Jahrhunderte angebrachten Verputz- und Farbschichten in die Ausstellung mit einzubeziehen. So wurden in enger Zusammenarbeit mit der Abteilung Archäologie und Denkmalpflege des Kantons Zürich 38 geeignete Stellen zur näheren Untersuchung bestimmt. Restauratorinnen und Restauratoren haben die Verputz- und Farbschichten des historischen Gebäudes wie ein Buch gelesen, das dessen Geschichte erzählt. Mit unglaublicher Geduld und in akribischer Kleinarbeit legten sie mit Skalpell und Pinsel Schicht um Schicht die Vergangenheit frei.

Die Arbeit der Restauratorinnen und Restauratoren ist faszinierend: Ihr Auge ist so geschult, dass sie den Zeitraum des Anstrichs meist bereits anhand der Farbe eingrenzen können. Manchmal erkennen sie an der Qualität des Verputzes sogar, in welchen Räumen der gleiche Maurer am Werk war. Die kleinen Ausschnitte eröffnen in der neuen Ausstellung als sogenannte archäologische Fenster spannende Einblicke in die Baugeschichte der Kyburg.

Ein Restaurator legt die Verputzschichten sorgfältig frei. Bild: Sammlung Kyburg

Eine Überraschung im Bergfried

Eines dieser archäologischen Fenster befindet sich im grossen Turm, dem sogenannten Bergfried, wo am ehesten Spuren eines Gefängnisses zu erwarten wären. Der Verputzuntersuch brachte jedoch etwas ganz anderes zu Tage: Der Raum war einst vollständig mit barockem Dekor ausgemalt. Und gleich im angrenzenden Raum befindet sich ein weiteres archäologisches Fenster, das neue Erkenntnisse lieferte. Hier zeigte die Untersuchung der Farbanstriche nämlich, dass der bisher als relativ gross eingeschätzte Raum einst durch eine Zwischenwand zweigeteilt war.

Gibt es einen Zusammenhang zwischen den beiden Befunden? Weitere Spuren am Gebäude und der Besuch im Staatsarchiv Zürich, wo die Akten der Kyburger Verwaltung aufbewahrt werden, führten in dieser Frage zu neuen Erkenntnissen.

Barocker Dekor über den Archivschränken. Zum Schutz der Malerei wurden nur Teile freigelegt. Bild: Martin Bachmann

Schlaflose Nächte?

Im Staatsarchiv liess sich in Erfahrung bringen, dass Landvogt Johann Heinrich Waser von 1645 bis 1647 einen grösseren Durchgang zum Turm herausbrechen liess und im Turmraum das Archiv der Landvogtei unterbrachte – dort, wo der barocke Dekor zum Vorschein kam. Den Raum darunter, der als Schatzkammer für 10 000 Gulden diente, machte er durch eine Luke zugänglich. Bei diesem Geld handelte es sich um Kriegssteuern, welche Zürich angesichts des in Europa tobenden Dreissigjährigen Kriegs vorsorglich von seinen Untertanen eingezogen hatte. Die zwei kleinen angrenzenden Räume liess der Landvogt als Arbeitsraum und Schlafzimmer einrichten. Vielleicht nicht bestens geeignet für einen ruhigen Schlaf, aber die Akten und der Staatsschatz waren gut bewacht.

Durchgang ins Archiv im Turm mit den Wappen von Kyburg und von Landvogt Waser. Bild: Sammlung Kyburg

Unruhige Zeiten

Landvogt Waser hatte sein Amt in unruhigen Zeiten angetreten. Um die 10 000 Gulden schwelte ein Streit, den sein Vorgänger nur mit Mühe in den Griff bekam. Der Dreissigjährige Krieg war für die Bauern im Zürcher Oberland zunächst keine schlechte Zeit gewesen: Die Eidgenossenschaft hielt sich aus dem Krieg heraus und die Bauern konnten ihr Getreide zu hohen Preisen verkaufen. Anfangs der 1640er-Jahre drehte der Wind jedoch. Aus Süddeutschland floss wieder Getreide auf den Markt und die Zürcher Bauern kamen in finanzielle Schwierigkeiten.

Vor diesem Hintergrund und angesichts der wachsenden Not formierte sich 1645 Widerstand gegen die Kriegssteuern. Dieser Widerstand äusserte sich in heimlichen Versammlungen, Steuerverweigerung und offenem Protest. Der Landvogt hörte sich die Klagen der Untertanen zwar an, drohte ihnen jedoch zugleich auch unterschwellig. Denn mit den Versammlungen zu politischen Fragen, die sie nicht zu entscheiden hatten, überschritten sie seiner Ansicht nach ihre Kompetenzen deutlich.

Der Bürgermeister von Zürich begab sich in der Folge persönlich aufs Land, um den Bauern die Schwere ihres Vergehens aufzuzeigen. Obwohl sich diese reuig zeigten, bestrafte der Landvogt selbst blosse Mitläufer mit happigen Bussen. Die Anführer mussten sich sogar vor dem Gericht in Zürich verantworten, wo ihnen wegen Auflehnung gegen die Obrigkeit die Todesstrafe drohte. Das Gericht zeigte sich in diesem Punkt zwar gnädig, verhängte aber auch hier hohe Bussen.

Die Steuerrevolte von 1645, bildlich umgesetzt für die Dauerausstellung auf der Kyburg. Illustrationen: Rahel Eisenring, Bild: Sammlung Kyburg

Die Macht der Schrift

Johann Heinrich Waser hatte sein Amt als Landvogt kurz nach der Verurteilung der Rädelsführer angetreten. Er machte sich sogleich daran, die ausstehenden Kriegssteuern einzutreiben. Bei der Obrigkeit in Zürich holte er sich indes die Erlaubnis ein, im Turm der Kyburg einen neuen Archivraum einzurichten. Aus seiner Tätigkeit als Staatsschreiber wusste Waser um die Bedeutung eines guten Archivs zur Durchsetzung von Recht und Gesetz. Als erster Landvogt legte er systematische Aktensammlungen zu wichtigen Geschäften an. Ob die Ausmalung des dazu vorgesehenen Raums im Turm offizieller Dekor oder ein persönliches Denkmal war, wissen wir nicht.

Die gesamte Steuerrevolte von 1645 wurde aktenkundig. Hier zwei Seiten mit den Beschwerden der Untertanen und den Antworten des Landvogts. Bild: Staatsarchiv des Kantons Zürich, StAZH A 96, Nr. 7 (S. 4–5)

Teile und herrsche

1647 war Waser dann selbst von Unruhen betroffen. In Marthalen hatten sich die Bauern versammelt, um einen unliebsamen Untervogt loszuwerden. Waser wies ihre Klagen ab. Als sie damit nicht einverstanden waren, bot er ihnen die Möglichkeit an, sein Urteil vor dem Zürcher Ratsgericht anzufechten. Allerdings unter einer Bedingung: Wer klagen wollte, sollte seinen Namen in einen Rödel (Schriftrolle) eintragen und sich dadurch dazu verpflichten, sich im Fall einer Niederlage an den Gerichtskosten zu beteiligen. Wer nicht klagen wollte, konnte seinen Namen in einen zweiten Rödel eintragen und war dadurch im Fall einer Niederlagen von einer Beteiligung befreit. Als die beiden Rödel die Runde gemacht hatten, war der Klagerödel leer und die Angelegenheit damit erledigt.

Die Aktensammlung zum Kyburger Steuerprotest spielte im Jahr 1653 nochmals eine Rolle. Waser war inzwischen zum Zürcher Bürgermeister gewählt worden. Als solcher liess er unter den eidgenössischen Orten, die mit ihren Bauern im Streit lagen, Abschriften der Kyburger Akten kursieren. Sie sollten ihnen als Beispiel dafür dienen, wie solche Probleme gelöst werden können. Vergeblich! Die Bauern beharrten auf ihrer immer lauter vorgebrachten Forderung, eigene politische Landsgemeinden zu bilden und an vielen Orten kam es zur Verweigerung von Steuern. Die Obrigkeiten der Stadtorte waren in Aufruhr. Bei den darauffolgenden kriegerischen Auseinandersetzungen unterlagen die Bauern. Die Stadtorte nutzten ihre Stärke rücksichtslos aus und liessen sämtliche Rädelsführer hinrichten.

Das Schicksal der Kriegssteuer

Trotz der erbitterten Auseinandersetzungen um die Kriegssteuer wurden die Erlöse daraus letztlich nie ausgegeben. Sie lagerten als eiserne Reserve im Turmzimmer in der Kyburg, vor dem alle sechs Jahre ein neuer Landvogt schlief. Als 1798 – mit gütiger Hilfe der Franzosen – das Ancien Régime zusammenbrach, holten sich die Bauern der Umgebung das Geld und teilten es unter sich auf.

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Verfasst von:

Silvia Schlegel

Silvia Schlegel

Silvia Schlegel ist Kunsthistorikerin und stellvertretende Leiterin des Museums Schloss Kyburg.

Markus Brühlmeier

Markus Brühlmeier

Markus Brühlmeier ist freischaffender Historiker. Er hat verschiedene Publikationen zur Geschichte des Kantons Zürich verfasst.

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