Jede Zeit hat ihr Schulhaus

Seit dem 17. Jahrhundert gibt es Regeln für das Schulwesen, und jede Zeit hat in der baulichen Umsetzung ihre Spuren hinterlassen: von der Ablesbarkeit gesellschaftlicher Entwicklungen und pädagogischer Konzepte.

Mit der ‹ersten durchgehenden Ordnung für die Schulen uff der Landschaft›, die Antistes Johann Jakob Breitinger (1575–1645) im Jahr 1637 veranlasste, trat erstmals eine gesetzliche Regelung des Landschulwesens in Kraft. 1778 zählte man im Kanton Zürich 370 Landschulen, in denen im Winter von Martini bis Ostern während sechs Stunden unterrichtet wurde – in den privaten Stuben der Schulmeister. Das führte zu Klagen über unzumutbare Verhältnisse und Missstände, denn die Gebäude der Schulmeister waren in Konstruktion, Raumaufteilung und Material mit den damaligen Bauernwohnhäusern vergleichbar. Höchstens eine vergrösserte Wohn- und Schulstube mit besserer Belichtung wies auf den besonderen Zweck hin.

Unterricht in der Wohnstube des Lehrers: Das ehemalige Schulhaus Hirzel, Baujahr 1660. Foto: kantonale Denkmalpflege Zürich.

An der Schwelle zum 19. Jahrhundert war Johann Heinrich Pestalozzi (1746–1827) für das Schulwesen und die Pädagogik ein Meilenstein. Die steigende Schülerzahl, die Verbreitung der Mädchenbildung sowie die teilweise Trennung in Lese- und Schreibschulen führten zu einem erhöhten Raumbedürfnis, doch die Gemeinden gingen es aus finanziellen Gründen nur zögerlich an.

Musterpläne und Zwang zum Schema

In den 1820er-Jahren begannen einzelne Architekten die Schulhausbauten zu systematisieren. Trotzdem blieb die Situation im Kanton Zürich prekär. 1831 musste der Erziehungsrat 130 Gemeinden anhalten, bessere Räume einzurichten oder Schulhäuser zu bauen. Der entscheidende Schritt erfolgte nach 1832, als neue Gesetze den Aufbau eines staatlichen Bildungssystems sowie die allgemeine Schulpflicht und die Schaffung geeigneter Schulräume verlangte.

1835 erschien die ‹Anleitung über die Erbauung von Schulhäusern. Von dem Erziehungsrathe des Kantons Zürich gemäss §12 des Gesetzes über die Organisation des gesammten Unterrichtswesens erlassen›. In vierzig Paragrafen wurden die Grundsätze aufgeführt: Baustelle; Lage und Umgebung des Schulhauses; Dimensionen der Lehrzimmer und Bestuhlung; Lehrerwohnung; Abtritt; Beheizung; Einteilung der Schulgebäude; exakte Vorgaben zu Bauart und Baustoff. Im folgenden Jahr publizierte der Erziehungsrat die entsprechenden Pläne in Form von zwölf grossformatigen, lithographierten Tafeln. Entworfen hatte sie der aus Bachs stammende, akademisch ausgebildete Architekt Heinrich Bräm (1792–1869). Die Typenbauten unterschiedlichster Grösse zeigen eine klassizistische Formensprache – in Variationen. Bis 1850 entstanden auf dieser Grundlage in der Zürcher Landschaft Dutzende von Volksschulhäusern, auf die lokalen Verhältnisse adaptiert.

Musterplan von Heinrich Bräm aus dem Jahr 1836, publiziert vom Erziehungsrat des Kantons Zürich. STAZH.

Entwicklung hin zum Heimatstil

Kurz nach 1850 trat mit einer neuen Generation von ausgebildeten Architekten ein markanter Wandel ein: Mit Gustav Albert Wegmann (1812–1858), Leonhard Zeugheer (1812–1866), Ferdinand Stadler (1813–1870), Johann Caspar Wolff (1818–1891) und anderen wurde der Schulhausbau zur Domäne der professionellen Planer und damit zu einem der Hauptträger der Stilentwicklung. Viele Architekten profilierten sich in diesem Feld, darunter Johann Rudolf Roth (1831–1905) aus Fluntern, der rund sechzig Schulhäuser in Stadt und Kanton baute.

Die Gründung des Heimatschutzes 1905 veränderte den Schulhausbau erneut und grundlegend. Die bisherigen Bauten wurden als kasernenhaft und baukastenmässig heftig kritisiert. Die Rücksicht auf die landschaftliche und ortsbauliche Umgebung, neue pädagogische Ziele im Unterricht und die technischen Errungenschaften im Bereich der Hygiene beschäftigten von nun an die Planer. Es waren die damals jungen Architekten, die häufig zur Gründergeneration des Bundes Schweizer Architekten (BSA) gehörten, die die starren Grundrisse mit symmetrischer Anordnung zugunsten einer freieren Gestaltung auflösten. So entstanden Asymmetrien, die vor allem in der kubischen Gliederung der Gebäude zum Ausdruck kamen. Turnhallen wurden häufig übereck angeordnet. Es entstanden Schulhöfe mit einer klaren Trennung von Innen- und Aussenseite.

Ehem. Primarschulhaus in Volketswil, 1912/1913, Curjel & Moser, Karlsruhe. Foto: kantonale Denkmalpflege Zürich.

Licht – Luft – Sonne – Bewegung

Innert weniger Jahre entstanden Schulhäuser mit malerischem, farbig-heiterem Charakter. Das Hochbauamt des Kantons Zürich stellte für die Landesausstellung in Bern 1914 eine Mustermappe zusammen, in der Schulhäuser von einem bis 18 Zimmern in Grundrissen und Fotos präsentiert wurden. In der zweiten Hälfte der 1920er-Jahre stand der Schulhausbau im Spannungsfeld zwischen monumentalem Neoklassizismus, anbrechender radikaler Moderne und einer moderateren Haltung dazwischen.

Die nächsten tiefgreifenden Veränderungen brachten die Reformbestrebungen in der Pädagogik, die Psychologie und die Neudefinition von Formen und Inhalten der Architektur. 1932 wurde in verschiedenen Schweizer Städten eine Ausstellung gezeigt, die diese Entwicklungen veranschaulichte: Die Direktoren der Basler und Zürcher Gewerbeschule konzipierten diese Ausstellung zusammen mit den Architekten Max E. Haefeli, Werner M. Moser, Emil Roth, Rudolf Steiger und Siegfried Giedion, Zürich, und Georg Schmidt, Basel. Die Zürcher Avantgarde stellte dabei vier Neuerungen als Anregung und als Vorschlag zur Diskussion:

  1. Aufwand für das Kind! Licht, Luft, Sonne, Bewegung.
  2. Weg vom Palast- oder Kasernencharakter, hin zu einem kindergerechten Massstab, am besten in Pavillonform.
  3. Ausblick und Austritt ins Freie, Öffnung zur Umgebung.
  4. Quadratische anstelle von längsrechteckigen Zimmern mit beweglicher statt starrer Bestuhlung.
Schulhaus Hirsgarten in Zell-Rikon, Baujahr 1932/1933, Hermann Fietz, Zollikon. Foto: kantonale Denkmalpflege Zürich.

Geschossbauten und Pavillons

Die programmatische Schrift ‹ Das Kind und sein Schulhaus › von 1933 nahm diese Forderungen auf, wandte sich gegen eine Repräsentation beim Schulhausbau, der nach damaliger Auffassung den kindlichen Massstab verhindere. Die Autoren forderten den Verzicht auf eine monumentale Architektursprache, kleinere, gruppierte Gebäudekuben sowie eine grössere Beachtung des Aussenbereichs mit kindgerechten Pausenplätzen. In den Jahren vor und nach dem Zweiten Weltkrieg kam der Schustertyp auf. Architekt Franz Schuster hatte kleine Einheiten geplant: pro Geschoss zwei Klassenzimmer mit separater Treppe und eigener Infrastruktur. Eine Blüte erlebte das Pavillonsystem zwischen 1955 und 1966.

 

Schulhaus Reppisch in Birmensdorf, 1959/1964, Rudolf Küenzi, Rüschlikon. Foto: kantonale Denkmalpflege Zürich.

Nach 1960 brauchte es in kurzer Zeit neue Klassenzimmer. Es wurden zahlreiche Schulhäuser in kostengünstiger Bauweise erstellt. Betonkonstruktionen aus vorfabrizierten Elementen, Flachdächer, freie Stützen und Langfenster kamen auf. Gefordert war seit den 1950er-Jahren eine Standardisierung in Planung und Ausführung. Zentralheizung, künstliche Beleuchtung und Belüftung befreiten das Schulhaus von den Einschränkungen einer längsgerichteten Bauweise. Es entwickelten sich die Tendenzen zu einem plastischen Monumentalismus und zu einer nutzungsspezifischen Diversifizierung. Bald gab es gleich viele Sonderzimmer für Chemie, Informatik et cetera wie eigentliche Schulzimmer. Turnhallen, Schwimmbäder oder Sportplätze wurden wichtiger, und es entstanden grosszügige Schulanlagen, die künftig Änderungen und Erweiterungen dank Flexibiliät ermöglichen.

Denkmal macht Schule

Dieser Artikel erscheint im September 2020 im Themenheft «Denkmal macht Schule» von Hochparterre. Bestellen Sie das ganze Heft bei Hochparterre.ch.

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Verfasst von:

Thomas Müller

Thomas Müller

Ressortleiter Dokumentation bei der kantonalen Denkmalpflege.

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