Ein umtriebiger Mensch: Peter Steiger (1928–2023)

Ende Juli 2023 starb der Architekt Peter Steiger im Alter von 94 Jahren. Seither spielt er mit seiner Violine im Himmel Quartett – so zumindest stellte es sich der leidenschaftliche Musiker zu Lebzeiten vor. Sein gestalterisches Schaffen umfasste mehr als Architektur, und vielleicht diente gerade das Geigenspiel als stimulierender Ausgleich zu seinen kopflastigen Forschungen in den Bereichen Nachhaltigkeit, Planung und rationalisiertem Bauen. Steigers Arbeiten weisen ein breites Spektrum auf und sind auch im Kanton Zürich präsent.

Eine prominente Familie

Kunst, Technik und Architektur umgaben Peter Steiger schon immer. Seine Eltern Rudolf und Flora Steiger-Crawford engagierten sich im avantgardistischen CIAM-Kreis (Congrès Internationaux d’Architecture Moderne) und schrieben mit Pionierbauten Schweizer Architekturgeschichte. Die Mutter arbeitete zudem als Bildhauerin und Designerin, und Grossvater Carl Steiger war Maler und Flugpionier. Dass Peter Steiger einen gestalterischen Beruf ergreifen würde, war daher naheliegend. Doch ein klassisches Studium durchlief er nie: In der Musik fehlte ihm trotz Passion das Talent zum professionellen Violinisten und am Architekturdepartement der ETH Zürich sah er keine Perspektive. Insbesondere die Berufung Hans Hofmanns anstelle von Werner M. Moser goutierte er – beeinflusst von seinem dezidiert modernen und international ausgerichteten Umfeld – nicht. Gerade dieses ausseruniversitäre Netzwerk sicherte ihm dann einmalige Chancen: In den 1940er-Jahren konnte er erste Praxiserfahrungen in der Architektengemeinschaft für das Kantonsspital Zürich (AKZ) und bei Haefeli Moser Steiger (HMS) sammeln.

Porträtbild von Peter Steiger. Quelle: Zvg, undatiert.

Lernen vom Meister

Prägend war ein 1950 vom US-Amerikaner Frank Lloyd Wright gehaltenes Referat in Zürich. Darin sei, so berichtete Peter Steiger später, alles enthalten gewesen: «soziales Engagement, sinnliche Architektur, (…) raffinierte Ingenieurtechnik, Bezüge zu Kunst und Literatur, Architektur und Planung als Einheit und über allem eine moderne Denkweise.» Noch im selben Jahr reiste er – mit seiner geliebten Violine im Gepäck, auf der er Wright mehrfach Beethovens Frühlingssonate vorspielen durfte – nach Arizona, um bis 1951 beim grossen Meister in Taliesin West zu arbeiten. Das hiess erst einmal, Grapefruitschnitze für Wright zu filetieren, Leinen- und Seidenhemde zu bügeln und Holz für die Feuerstellen zu sammeln. Immerhin gab es auch angenehme und anregende Momente, wie die gemeinsamen Abendessen mit der Familie Wright oder die «Sunday-Morning-Talks», bei denen die Fellows mit dem sinnierenden Architekten frühstückten. Im Designstudio war Peter Steiger nur die letzten Wochen seines Aufenthalts tätig, als er bei der Kontrolle der Schalungspläne für das Guggenheim Museum in New York City mithalf. Der Aufenthalt bei Frank Lloyd Wright manifestierte sich in Steigers frühen Projekten, etwa im nie verwirklichten Weekend House auf Long Island (1951) sowie in Erlenbach in der noch heute bestehenden Villa Nebel (1958–1960) und in der stark umgebauten Villa Blum (1967–1968).

Der ursprüngliche Entwurf der Villa Blum in Erlenbach, erbaut 1967–1968, steht unter klarem Einfluss von Peter Steigers Mentor Frank Lloyd Wright. Quelle: gta Archiv / ETH Zürich, undatiert.

Expertise in Forschungs- und Industriearchitektur

Eines der Prestigeobjekte von Steiger war der Bau des Europäischen Kernforschungszentrums CERN in Genf, das er in den Jahren 1954–1960 zusammen mit seinem Vater, Carl Hubacher und dem Ingenieurbüro Fietz & Hauri konzipierte. Peter Steiger entwarf die Bauten der beiden Teilchenbeschleuniger und die zentrale Werkstatt, ausserdem war er in die Gestaltung des Hauptgebäudes involviert. Die Architektur entstand in engem Dialog mit den Physikern und dem Direktorium. Charakteristisch muten die Welleternitplatten und die A-förmigen Stützen der Synchro-Zyklotron-Halle an.

Ergebnis familiärer Zusammenarbeit: Peter Steiger und sein Vater Rudolf arbeiteten gemeinsam am Prestigeprojekt CERN in Genf. Hier die Synchro-Zyklotron-Halle CERN, Genf, 1954–1960. Quelle: Werk, Heft 2 (1958), S. 54.

Dieselben Merkmale sind in abgeänderter Form beim 1971–1973 von Peter Steiger realisierten Industriekomplex in Bachenbülach zu beobachten, dessen blaue Profilstahlplatten und markante Cortenstahl-Tragkonstruktion an das CERN erinnern. Einen besonderen Akzent setzt auch der skulptural durchgearbeitete Eingang mit polygonalen Betonstützen und flachen Scheiben.

Der schlanke Hochkamin mit Reling und die beiden unkaschierten, die Dachtraufe überkragenden Leitungsrohre tragen zur skulpturalen Wirkung des Eingangsbereichs bei: Industriebau, Bachenbülach, 1971–1973. Foto: Urs Siegenthaler, Zürich, 2024.

Ein Fokus auf rationalisierte Baumethoden

In den 1960er-Jahren forschte Peter Steiger zur modularen Bauweise. 1964 liess er das vorfabrizierte Norm-Modul-System patentieren, das beim Zentralmagazin der Swissair in Kloten (1965–1967) sowie bei der Kernforschungsanlage in Jülich (1967–1968) und beim Institut für Schwerionenforschungen in Wixhausen (1970–1975) angewandt wurde.

Das Zentralmagazin Swissair, Kloten, wurde von 1965–1967 im vorfabrizierten Norm-Modul-System erbaut. Quelle: Werk, Heft 8 (1968), S. 499.

In Kloten betonen Waschbetonbrüstungen die Funktion des Gebäudes als Umschlagplatz und Aufbewahrungsort von schweren Lagergütern. Gut sichtbare Kittfugen beleben zudem die gerasterten Fassaden. Im Kanton Zürich zeugen auch die im Auftrag der Ernst Göhner AG erstellten Grosswohnsiedlungen Sonnhalde in Adlikon bei Regensdorf (1968–1973) und Langgrüt in Zürich (1968–1972) von Steigers Fertigbauten.

Wohnsiedlung Sonnhalde, Adlikon bei Regendorf: Der hier abgebildete Siedlungsteil Ost setzt sich aus sieben unterschiedlich langen Zeilenbauten zusammen und wurde während der ersten Bauetappe 1969–1970 realisiert. Foto: Urs Siegenthaler, Zürich, 2020.
Wohnsiedlung Langgrüt, Zürich: Bis zu elf Geschosse umfassen die vier terrassierten Häuser, in denen von 1968–1972 insgesamt 316 Miet- und Eigentumswohnungen entstanden. Foto: Marc Landolt, 2019 (Hochschule Luzern – Technik & Architektur).

Planen, PLENAR und doch noch an die Universität

Steiger interessierte sich schon früh für planerische Themen: Ab 1956 war er bei der Zürcher Arbeitsgruppe für Städtebau (ZAS) aktiv und in den 1960er-Jahren entwarf er verschiedene Ortsplanungen. Die erste – Steiger entwickelte sie zusammen mit Rolf Meyer-von Gonzenbach – betraf die Gemeinde Fällanden. Am Anfang dieses neuen Aufgabengebiets stand das gemeinsame Musizieren: Ursprünglich traf Steiger den Hobbypianisten Meyer-von Gonzenbach nur, um Mozart und Beethoven zu spielen…

Infolge der Ölkrise 1973 setzte sich Peter Steiger vermehrt mit theoretischen Fragen auseinander. Damals nahm er auch den Ruf an die Technische Hochschule Darmstadt an, wo er bis 1992 als ordentlicher Professor lehrte. Unter dem Akronym PLENAR – Planung Energie Architektur – forderten er und ein interdisziplinäres Team ab 1975, den Energieverbrauch beim Bauen und Wohnen mit ressourcenschonenden Materialien sowie einem ökologisch durchdachten Gesamtkonzept drastisch zu senken. Dabei sollten Sonnenkollektoren den Autarkiegrad der Gebäude erhöhen und die Innentemperaturen wie in vernakulären Häusern mit Hilfe der Natur raumspezifisch reguliert werden.

Das Kongresshaus Zürich wurde von 1937–1939 von Haefeli Moser Steiger im Hinblick auf die Landesausstellung, sog. Landi, erbaut. Foto: Urs Siegenthaler, Zürich, 2021.

Kulturprojekte

Seiner Heimatstadt Zürich blieb Peter Steiger trotz akademischer Karriere in Deutschland treu. Hier engagierte er sich unter anderem für das Kongresshaus, wobei seine Arbeit für eine sorgsame Sanierung mit dezenter Erweiterung in einem Desaster endete und einen politischen Skandal verursachte: Nach Steigers Kritik an geplanten Baumassnahmen wurde ihm der Auftrag entzogen und die Göhner-Merkur AG setzte ihn ohne Sensibilität für den historischen Bestand fort. 1985 wurde dann bei der Finanzierung und Honorierung massiver Betrug festgestellt. Heute präsentiert sich das Kongresshaus wieder mehrheitlich im bauzeitlichen Erscheinungsbild von 1939.

1991 schuf Peter Steiger, der sich «als Architekt mit musikalischem Hintergrund» bezeichnete, zu Mozarts 200. Todesjahr ein modernes Bühnenbild für die Oper Don Giovanni in Ludwigshafen. Und 1998 entwickelte er auf Anregung des Oberbürgermeisters in Eisenstadt ein transportables Opernhaus ohne festes Fundament. Die Beschwerung des rund 1200 Plätze umfassenden Gebäudes wäre durch acht regelmässig verteilte, mit Wasser gefüllte Treppentürme erfolgt. In einem der letzten Projekte bemühte sich Peter Steiger also um die Synthese seiner beiden grossen Leidenschaften: Musik und Architektur. Leider wurde die Opera Mobile nie gebaut – vielleicht ist es eine Vision, die er nun im Himmel vollendet.

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Verfasst von:

Cyrill Schmidiger

Cyrill Schmidiger

Cyrill Schmidiger ist Kunsthistoriker und erarbeitet als Co-Autor den Kunstdenkmäler-Band zum südlichen Teil des Bezirks Bülach. Der zeitliche Schwerpunkt liegt auf dem 20. Jahr-hundert – ein schweizweites Novum für das Kunstdenkmäler-Projekt. Das Buch erscheint voraussichtlich 2028.

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