Haben so die Schuhe der Steinzeit ausgesehen?

2017 hat die Unterwasserarchäologie im Greifensee Schuhfragmente aus der Jungsteinzeit entdeckt. Jetzt haben erfahrene Experimentalarchäologinnen aus Holland die Schuhe nach intensivem Studium der geborgenen Fragmente rekonstruiert.

An der Schifflände in Maur führte die Unterwasserarchäologie der Stadt Zürich von Oktober 2017 bis Mai 2018 eine archäologische Untersuchung durch. Der Kursschiffsteg liegt inmitten einer jungsteinzeitlichen Pfahlbaufundstelle. Die Strömungen der Antriebe der Kursschiffe erodieren und zerstören die Fundschichten. Stark bedrohte Teile wurden ausgegraben. Unter Wasser «ä rächti Fuer» – aber eine mit sensationellen Funden.

Impressionen vom Taucheinsatz an der Schifflände in Maur, aufgezeichnet von der Unterwasserarchäologie der Stadt Zürich:

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Schuhe aus Lindenbast

Zum Vorschein kamen aussergewöhnlich viele Funde aus Holz und Bast. Neben einfachen Schnüren und diversen Textilfragmenten umfassen sie das Stück eines Mantels sowie über 40 Schuhfragmente aus der Zeit um 3000 v. Chr., geflochten aus Lindenbast. Weltweit sind nur eine Handvoll gleichaltrige Schuhfragmente bekannt.

Steinzeitlicher Schuh aus der Tauchgrabung Maur-Schifflände, nach der ersten Reinigung im Labor der Kantonsarchäologie. Foto: Kantonsarchäologie Zürich.

Die Funde von Maur liefern neue Erkenntnisse zum jungsteinzeitlichen Flechthandwerk. Erstmals können eine Art Zunge und Sohlenbespannungen nachgewiesen werden. Von einem der vollständigsten Schuhe hat die Kantonsarchäologie ein digitales 3D-Modell erstellt.

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Von den Funden zur Rekonstruktion

Auch detailgetreue analoge Kopien sind wichtig, um die Flechttechnik besser zu verstehen und die Steinzeitschuhe verständlicher zu machen. Für uneingeweihte Augen sind manche der sensationellen Funde von kleinen Kuhfladen kaum zu unterscheiden. Diese Aufgabe übernahmen Dorothee Olthof und Eva Ijsfeld, zwei holländische Experimentalarchäologinnen mit grosser Erfahrung im Flechten von Bast. Durch Corona bedingt konnten sie die Originalobjekte in der Schweiz nicht direkt studieren. Stattdessen tauschten sie sich mit Mitarbeiter*innen der Kantonsarchäologie online aus. Die ersten Versionen wurden als Diskussionsgrundlage aus Raphiafasern geflochten.

Version 1: Die Ferse ist als Quadrat geflochten, für die Seiten und die Sohle hat es zu viele Baststränge. Die Zehenpartie ist vertikal geflochten, da dies die logische Vorgehensweise schien. Die Schnürsenkel sind an zwei Punkten auf jeder Seite angebracht, ein Zwirngeflecht bildet die Zunge. Zwirnbindungen werden als Schnur seitlich von Eintrag zu Eintrag geführt. Dies war der Ausgangspunkt für eine erste Online-Sitzung, um den Schuhaufbau zu klären. Foto: Dorothee Olthof.
Version 2: Der Archäologie Adrian Huber regte die horizontale Flechtrichtung der Zehenpartie an. Die Ferse ist immer noch quadratisch und es gibt immer noch zu viele Baststränge. Die Zunge hat keine Seitenschnüre mehr, Schnürsenkel sind an zwei Punkten auf jeder Seite angebracht. Foto: Dorothee Olthof.
Verison 3: Die Ferse ist rund, die Zehenpartie ist horizontal geflochten mit einem Abschluss, der an einem der Funde erahnt werden kann. Ein zusätzlicher Streifen geht am Rand um die Ferse herum, wie bei einem anderen Fund. Die Schnürsenkel sind an drei Punkten an den Seiten befestigt. An den Seiten und in der Sohle gibt es immer noch zu viele Baststränge. Foto: Dorothee Olthof.
Version 4: Dieser Schuh entstand nach langen Diskussionen. Die Ferse ist rund und hat die richtige Anzahl Baststränge. Die Zehenpartie ist horizontal geflochten, die Schnürsenkel sind an drei Punkten an den Seiten befestigt. Der Abschluss am Übergang zur Zunge ist gezwirnt. Inspiriert von Flechtschuhfunden aus Oregon USA ist die Zehenpartie sehr niedrig. Foto: Dorothee Olthof.

Die Rekonstruktion kommt dem steinzeitlichen Original ziemlich nahe. Einige Punkte – vor allem in der Zehenpartie – bleiben jedoch unklar. Nach den Vorstudien mit Raphiafasern wurden die besten Lösungsansätze in Lindenbast nachgeflochten.

Version 5: Rekonstruktionen aus Lindenbast. Der Abschluss der Zehenpartie ist am Übergang zur Zunge nicht gezwirnt, sondern umwickelt und wird etwas höher. Die Schnürsenkel verbinden drei Punkten pro Seite, die genaue Führung bleibt unklar. Foto: Martin Bachmann, Kantonsarchäologie Zürich.

Video: Die Schuhe der Pfahlbauer*innen

Der Archäologe Adrian Huber erzählt von den Ausgrabungen, erklärt die Besonderheit der Funde und gibt einen kurzen Einblick in das Leben der Pfahlbauerinnen und Pfahlbauer. Das Video entstand in Zusammenarbeit mit History – Travel – Nature und Magic Motions Filmproduktionen.

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Verfasst von:

Helena Wehren

Helena Wehren

Helena Wehren ist Geologin und Archäologin. Neben archäologischer Tätigkeit macht sie Ausstellungen, Vermittlung in Museen und bestimmt die Herkunft von Silexrohmaterialien. Für die Kantonsarchäologie Zürich arbeitet sie für das 10-Jährige Jubiläum des UNESCO-Weltkulturerbes Prähistorische Pfahlbauten um die Alpen.

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