«Sändele» für Erwachsene?
Manchmal belächelt, oftmals romantisiert. Goldgräber im besten Sinne. Was die wohl ernsthaft tun? Der Versuch eines Berichts aus dem Alltag eines wenig bekannten Berufs: der Ausgräber.
Manchmal belächelt, oftmals romantisiert. Goldgräber im besten Sinne. Was die wohl ernsthaft tun? Der Versuch eines Berichts aus dem Alltag eines wenig bekannten Berufs: der Ausgräber.
«Wie lang tüender no sändele?» oder «Händer scho Gold gfunde?» sind Fragen, mit denen uns Passanten des Öfteren ansprechen. Unsere Arbeit erweckt Assoziationen zum Schatzsuchenden aus dem Film. Ganz falsch ist das nicht: Auch wir bergen wertvolle Objekte, wenn auch eher in wissenschaftlicher Hinsicht. Keramikscherben mit Verzierungen, zerbrochene Schmuckstücke, beschädigte Werkzeuge oder hölzerne Fragmente gehören dazu; Artefakte aus Gold eher weniger.
Woher kommt das «Sändele»? Die Ausgrabung als Sandkasten der Erwachsenen? Ja gewiss, die Grabungsarbeit hat ihre spielerischen Momente. Man denke nur an das Präparieren eines Skelettes. Das Mikadospiel kommt mir spontan in den Sinn. Bloss keine Knochen bewegen! Sand ist Bestandteil unseres Bodens, ebenso Geröll, Kies, Lehm und anderes. Die Bearbeitung des Bodens ist dementsprechend anspruchsvoll. Wir benutzen Schaufel und Pickel fürs «Grobe». Detailreiche Befunde präparieren wir mit Kelle und Stuckateureisen. Was also tut der Ausgräber, wenn er nicht «sändelet», keine Goldfunde macht, dabei aber den Steuergeldtopf des Kantons abgräbt? Kann man das erlernen?
Für den Beruf des Ausgräbers gibt es keinen herkömmlichen Ausbildungsweg mit einer Berufslehre. Man lernt bei der Arbeit, profitiert vom Wissen der Kolleginnen und Kollegen und adaptiert deren Arbeitsweisen. Die meisten von uns sind Quereinsteiger, über verschiedene Wege zur Archäologie gestossen. Handwerkliche Berufe sind vertreten, Landschaftsgärtner, Leute aus der grafischen Branche. Der Einstieg geschieht oft über eine Vermittlung durch Bekannte.
Nomaden gleich wandern wir von Grabung zu Grabung, die Kantonsgrenze steckt unser Gebiet ab.
Für mich war der Zivildienst Türöffner. Vor meinem Engagement bei der Archäologie studierte ich Grafikdesign. Tastatur und Maus tauschte ich gegen Schaufel und Pickel ein. Endlich draussen arbeiten, Wind und Wetter spüren, den ganzen Körper gebrauchen. Dreck, Schweiss… herrlich! Nach anderthalb Jahren im Aargau wechselte ich zum Kanton Zürich. Man rutscht so rein, könnte man sagen, absolviert die Probezeit und wird meist temporär angestellt im Stundenlohn. Nur wenige haben eine Festanstellung.
Nomaden gleich wandern wir von Grabung zu Grabung, die Kantonsgrenze steckt unser Gebiet ab. In unregelmässigen Abständen werden Grabungsteams aufgeteilt und neu formiert. Als Ausgräber bringt man die Bereitschaft mit, flexibel eingesetzt zu werden. Sondierungen dauern nur wenige Tage: Bestückt mit Dokumentationsunterlagen, Fotoapparat und Vermessungsgerät fahren wir aufs Feld, meist zu zweit, eine archäologische Fachkraft und ein Ausgräber oder eine Ausgräberin. Heute Elgg, morgen Regensdorf, die Bauherrschaft bestimmt den Zeitplan, Maschinist und Bagger stehen bereit. Sondierschnitt ausheben, Profil putzen, Profil dokumentieren, Schnitt auffüllen, Bagger verschieben und so fort. Im Akkord wird der Bauplatz voruntersucht; ein Glück, wenn das Wetter hält.
Ganz anders verhält es sich bei Grabungsprojekten, die über mehrere Monate fortdauern. Vor Ort wird ein Installationsplatz errichtet, werden Container für Büro, Garderobe und Werkzeug gestellt. Arbeitsklamotten können über Nacht trocknen, das Werkzeug hängt in Reih und Glied. Grosse Giebelzelte und kleine Pavillons bieten Schutz vor der Witterung auf dem Feld. Die Infrastruktur gewährleistet einen ganzjährigen Grabungsbetrieb.
Dampfende Köpfe, triefende Nasen und klamme Finger; Feuchtigkeit zieht die Beine hoch.
Der Winter ist die strengste Zeit. Die Zelte werden zwar geheizt, aber nur so weit, dass der Boden nicht zufriert. Auch bei Temperaturen um den Gefrierpunkt perlt der Schweiss von der Stirn, wenn Schaufel und Pickel hin und her geschwungen werden. Dampfende Köpfe, triefende Nasen und klamme Finger; Feuchtigkeit zieht die Beine hoch. Draussen klirrende Kälte. Zum Pausentee zieht man sich gerne in den geheizten Container zurück, wärmt Hände und Füsse und gönnt sich ein Käsebrötchen oder eins mit Konfitüre.
Auch der Sommer hat seine Tücken. Die Sonne brennt unaufhörlich, der Boden trocknet rasant. Dem Tropfen auf den heissen Stein gleich wird bewässert, was bearbeitet werden will. Die Zelte helfen dabei, den Trocknungsprozess zu verlangsamen. Auch der eigene Wasserhaushalt will umsorgt sein: Literweise fliesst das Mineralwasser, die Erfrischung währt nur kurz. Oder aber sintflutartige Regengüsse überschwemmen die Felder, füllen die Gruben und verwischen die angezeichneten Befunde. Mit Abdeckplanen werden diese geschützt. Gibt es ein ideales Grabungswetter? Wolkenbedeckt, bei behaglichen 20 °C und leicht feuchtem Boden, liesse sich ganz angenehm graben.
Rhythmische Geräusche von schneidenden Kellen, kratzende Schaufeln oder das Dröhnen der Staubsauger geben den akustischen Rahmen.
Grabungsarbeiten sind teilweise überaus repetitiv. Habe ich einmal eine Pfostengrube geschnitten, weiss ich, wie ich jede folgende schneiden muss. Die Arbeitsabläufe wiederholen sich und werden zur Routine. Ich mag diesen Aspekt. Ich mag es, zu wissen, was es zu tun gibt. Anders verhält es sich mit Befunden und Schichten, deren Begrenzungen weder farblich noch an ihrer Beschaffenheit eindeutig zu erkennen sind. Man beginnt im Ungewissen, tastet sich heran, trägt Schicht um Schicht ab, versucht die Situation zu erkennen. Es ist eine Suche nach dem möglichen Richtigen, anspruchsvoll und nicht immer von Erfolg gekrönt.
Eine meditative Seite hat sie auch, die Grabungsarbeit. Dann, wenn geduldig hundertfach dieselbe Bewegung ausgeführt wird, man dabei konzentriert nach Fundstücken Ausschau hält und sich in der Monotonie Raum für weitschweifende Gedanken öffnet. Rhythmische Geräusche von schneidenden Kellen, kratzende Schaufeln oder das Dröhnen der Staubsauger geben den akustischen Rahmen.
Frisch präpariert, wird der Befund dokumentiert. Beim Kanton Zürich werden wir angehalten, sämtliche dokumentarischen Arbeiten selbst zu verrichten. Flächen oder Profile werden erst fotografiert, dann gezeichnet, schliesslich nivelliert und mit dem GPS-Gerät vermessen. Wer gut schreiben kann, beschreibt mit Worten. Natürlich sind wir solidarisch: Wer nicht zeichnen will, muss auch nicht. Die Rollen sind jeweils schnell gefunden.
Generell bedarf es eines solidarischen Umgangs untereinander. Jeder arbeitet in seinem Tempo, jeder hat seine Fähigkeiten. Der eine gräbt schwungvoll, der andere präpariert behänd. Ein jeder hat mal einen schlechten Tag und mimt anderntags erneut den Spassvogel. Herrscht eine entspannte Atmosphäre auf dem Feld, lässt es sich einfacher arbeiten. Denn die Launen der Kolleginnen und Kollegen bleiben nicht unbemerkt, so auch die eigene nicht. Stimmungsschwankungen gehören dazu, erst recht, wenn das Wetter Einfluss nimmt. Solche Tage gilt es auszuhalten. Möchte nochmal jemand nach dem «Sändele» fragen?
Dieser Artikel ist zuerst erschienen in der Zeitschrift as. archäologie schweiz, Ausgabe 43.2020.2
Die Archäologie im Kanton Zürich hat viele Gesichter. Der Ausgräber Raphael Annaheim ist eines davon. In der aktuellen Ausgabe von as. archäologie schweiz erfahren Sie mehr über den Chef (Kantonsarchäologe), einen Archäobotaniker, eine studentische Fachkraft, eine Anthropologin und viele mehr. Das Heft kann über die Website von archäologie schweiz bezogen werden. Ausserdem: Wir verschenken je eine Ausgabe des Heftes an die ersten 10 Personen, die einen Kommentar unter diesen Artikel schreiben.
Das Thema Archäologie interessierte mich schon seit der Kindheit. Beruflich habe ich viel mit der Denkmalpflege und alten Bauten zu tun, was ich immer sehr spannend finde. Grüsse aus dem Zürcher Weinland
Ha der Raffi... einer unser ersten Polygrafen-Lehrlinge. Cool, wie er seinen Weg und seine Berufung gefunden hat!
Meine Bewunderung für diese Arbeit und den tollen Bericht! Ich durfte ganz klein nur bei der Erstellung eines Profils helfen. Ich fand es sehr spannend, Einblick in die Arbeit und den Austausch von Grabungstechnikerin und Archäologe zu bekommen. Meine Sicht auf die Archäologie hat sich verändert. Meine Faszination ist noch grösser geworden. Sändele ist es definitiv nicht aber eine Afinität zum Rätseln, Knobeln und Kombinieren und gute Kniescheiben sind mit Bestimmtheit kein Berufsnachteil!
Wie ubereinstimmend, wie unterschiedlich, die Schweiz- die Niederlande. Hier ist die Kommerzielle welt schwer eingetroffen. Dixi musik, ratteln des Baggers, piepsen der Detektöre, granaten des Krieges. Donner, Blitz in naturlich unser Frikandel XXL. Länge und geschmacksvol ;) Selber schon 33 jahre unterwegs in Archäologie und imner noch nicht satt! :) Schönen gruss an alle Schweizer Archäologie arbeiter! Kasper
Sehr eindrucksvoller Bericht mit wunderbaren Stimmungsbildern, der uns die interessante, wichtige aber auch knochenharte Arbeit der Ausgräber zeigt.
Herzliche Gratulation Raphael!
"Sändele für Erwachsene?" - ein treffender Titel.
Merci, dass Sie uns Ihre Arbeit nähergebracht haben.
Ich dachte, Archäologen arbeiten nur von Frühling bis Herbst?
LG,
E. Haymoz
PS. Merci fürs Heft :-)
Das wäre schön! Nein, die Archäologie arbeitet auch im Winter, damit nach den Ausgrabungen die Bautätigkeit im Frühling Termin gerecht starten kann.
Freundliche Grüsse
adzh
Hallo
Ich interessiere mich sehr für die Archäologie.Der Beruf des Ausgräbers würde ich gerne näher kennenlernen.
Freue mich sehr für jede Info.
Gruss
St.Mattenberger
Guten Tag
Besten Dank für Ihr Interesse an unserer Arbeit. Sie können gerne Ihr Bewerbungsdossier unter ad@bd.zh.ch einreichen. Vielleicht ergibt sich die Möglichkeit eines Grabungseinsatzes.
Freundliche Grüsse
adzh
Ich habe grosse Intresse an Archologie und bin mit Quereinsteigerin Googeln auf diese seite Gestossen. Gibt es irgend wo mehr Informationen als Ausgräber? Und kommt das von Kanton zu Kanton drauf an?
Würde mich sehr für diesen Beruf Interessieren.
Grüsse aus GR
Claudia
Liebe Claudia
Die Vereinigung für archäologisch-technisches Grabungspersonal (VATG) führt Kurse durch und ist Anlaufstelle für Fragen zum Beruf als Ausgräberin oder Ausgräber. Unter www.vatg.ch findest du viele weiterführende Informationen, sowie Kontaktangaben und Stellenangebote.
Ich wünsche viel Erfolg!
Grüsse aus der Archäologie und Denkmalpflege Kanton Zürich
Esther
Die Burg Alt-Landenberg war einst Stammsitz eines einflussreichen Adelsgeschlechts. Dass ihre Baugeschichte vergleichsweise gut dokumentiert ist, ist unter anderem Jakob Wolfensberger zu verdanken. Nachdem Kauf der Burgruine im Jahr 1957 führte der geschichtsinteressierte Unternehmer aus Bauma auf dem Burghügel archäologische Ausgrabungen durch, um der Geschichte der Alt-Landenberg und ihrer Bewohner auf die Spur zu kommen.
Vor 600 Jahren erwarb die Stadt Zürich die Kyburg und die zugehörige Grafschaft von den Habsburgern. Noch heute stecken die Mauern der Burg voller Geschichten aus ihrer bewegten Vergangenheit. Im jahrhundertealten Herrschaftssitz erzählen kleine Spuren von grossen Ereignissen. Lesen Sie hier, was die barocke Ausmalung eines Kyburger Turmzimmers mit einem Goldschatz und den Bauernkriegen zu tun hat.
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