Einhorn und Jungfrau – Inbegriff der Keuschheit?

Eine Szene wie aus einem Märchen: Einhorn und Jungfrau, vieldeutig dargestellt auf einer Ofenkachel aus dem 14. Jahrhundert. Doch wie zauberhaft ist eine solche Begegnung wirklich? Die Bildanalyse erklärt vieles, aber ein Geheimnis bleibt.

Bei einer Rettungsgrabung am Kloster Rüti konnten 2018 mehrere Ofenkacheln aus dem 14. Jahrhundert geborgen werden, darunter eine mit Einhornmotiv. Drohnenaufnahme: Simon Vogt, Kantonsarchäologie Zürich.

Die Kachel sticht mit ihrer märchenhaften Szene ins Auge. Mitarbeiter der Kantonsarchäologie fanden sie im Kloster Rüti in zwei Fragmente geteilt, ein drittes fehlte. Das detailreiche Relief zeigt rechts ein Einhorn, das auf seinen Hinterbeinen steht, und links davon eine Frau. Ihr Kleid sitzt am Oberkörper eng, unter der Hüfte fällt es weit und locker. Zudem trägt es schmuckvoll verzierte Bänder und auffällige «Zipfelchen» oder vielleicht Glöckchen an den Unterarmen – ziemlich modebewusst für das 14. Jahrhundert! Die Frau tritt dem Fabelwesen gegenüber unerschrocken auf, sie nimmt es gar in Empfang. Auf dem fehlenden Fragment wäre wohl zu sehen, dass sie es sanft am Vorderbein hält.

Foto: Martin Bachmann, Kantonsarchäologie Zürich.

Das Einhorn gilt als Symbol für Keuschheit. Daraus schliessen wir, dass die Frau eine Jungfrau ist. Denn nur den Jungfrauen konnte das Einhorn trauen, vor anderen Menschen musste es sich hüten. Diese hatten keine reinen Absichten und wollten ihm böse. Doch wie steht es um die Absichten des Einhorns selbst? Das ist nicht wirklich klar. Sein Geschlecht ist gar deutlich abgebildet und seine Füsse wirken dämonisch …

Das Märchenmotiv wurde mit einem Model in die sogenannte Blattkachel gepresst. Sie ist 19 cm hoch und 15 cm breit, rechteckig und flach. Hafner entwickelten die Blattkacheln im 14. Jahrhundert. Ihr Vorteil besteht darin, dass sie sich am Ofen eng aneinander fügen lassen und somit kein gemauerter Ofenkörper nötig ist. Eine Engobe, die Grundschicht unter der Glasur, fehlte, weshalb das damals typische Sattgrün mit der Zeit verblasst ist. Russ-Spuren auf der Innenseite der Kachel weisen deutlich auf den Gebrauch zu Klosterzeiten hin. Fest steht: Der Ofen wärmte nicht nur, er war zweifellos ein Blickfang. Die Klosterbrüder hatten ein Flair für eine geschmackvolle Innenausstattung.

Verfasst von Zora Hebeisen

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D
Daniel Möckli

Bezüglich den Füssen: Es scheint, als seien gerade bei frühen Darstellungen Einhörner häufig als Paarhufer dargestellt worden. Die pferdeähnliche Darstellung als Unpaarhufer ist vermutlich moderner.
Ich schätze, die dämonisch wirkenden Füsse des obigen Einhorns sind der Versuch, die Hufe als zweigeteilt darzustellen.

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A
Ascan

Dass Einhörner in frühen Zeiten als Paarhufer dargestellt werden, hat für mich keinen dämonischen sondern biologischen Hintergrund. Bei Rehen gibt es eine sehr seltene Mutation bei welcher das Geweih mittig auf der Stirn sitzt, häufig ist dann auch nur eine verwachsene Hornartige Gewihstange vorhanden. Passt sehr gut zu den frühen Einhörnern, immer Paarhufer und gelegentlich sogar in brauner Farbe dargestellt.
Gruss Ascan

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